Dokumenten ManagementMit Erfolg zur E-Akte
Enthusiastische Töne kamen Ende 2020 aus der Berliner Verwaltung: „I©k bin DA!“ Soll heißen: Die E-Akte wird jetzt in allen Berliner Behörden eingeführt, unter Beteiligung zahlreicher Projektpartner wie etwa der Unternehmen Ceyoniq Technology, Computacenter, Infora und Materna. Aus anderen Bundesländern hört man ähnlich Erbauliches: So treibt die Stadt Leipzig den verwaltungsweiten Ausbau des digitalen Dokumenten-Managements mit der Software von Anbieter Optimal Systems voran. Und die Stadt Osnabrück setzt im Rahmen ihrer E-Government-Strategie auf E-Akten und Enterprise Content Management (ECM) der Firmen codia Software und d.velop. Damit katapultierte sie sich auf Platz 8 des Smart City Index 2020. Das Digital-Ranking der deutschen Großstädte wird jährlich vom Branchenverband Bitkom vorgenommen. In der Unterkategorie Verwaltung landete Osnabrück sogar auf Platz 2.
Es sind Leuchtturmprojekte, die darüber hinwegtäuschen, dass deutsche Kommunen bei der E-Akte hinterherhinken. Das wundert nicht, wenn sogar das Bundeskanzleramt seiner Pflicht zur elektronischen Aktenführung nicht nachkommt (so berichtete es im September 2020 unter anderem die Augsburger Allgemeine). Bundesregierung und Bundesbehörden verstoßen demnach gegen das E-Government-Gesetz, das ihnen seit Januar 2020 das Führen elektronischer Akten auferlegt. Berufen sie sich womöglich auf Paragraf sechs, der von der E-Akten-Pflicht befreit, wenn dies unwirtschaftlich ist?
Erfolgreich digitalisiert
Die in Berlin, Leipzig oder Osnabrück involvierten Software-Hersteller teilen sich einen beträchtlichen Teil des ECM-Kuchens im kommunalen Sektor untereinander auf. Weitere Hersteller sind Docuware, Lorenz Orga oder PDV. Letzterer hat vor Kurzem zwei bekannte Hersteller übernommen – CC e-gov aus Hamburg und comundus regisafe aus Waiblingen – und will dadurch insbesondere im kommunalen Umfeld weiter wachsen.
Große Kommunen scheinen zudem die Vorreiter bei der Digitalisierung und somit auch bei der E-Aktenführung zu sein; kleinere Verwaltungen unter 30.000 Einwohnern haben oftmals Nachholbedarf. So herrschen große Unterschiede. „Wo viele noch in Papierakten versinken, kümmern sich andere Verwaltungen schon um einen intelligenten Posteingang“, formuliert es Harro Mrosowsky, Bereichsleiter Vertrieb bei Optimal Systems.
Aus welchen Gründen ein E-Akten-Projekt scheitert und warum nicht, dazu haben die ECM-Anbieter eine klare Meinung: Strategisch und entschlossen müsse eine Kommune das Thema Digitalisierung angehen, raten sie einstimmig. Dazu gehört es, interne Ressourcen bereitzustellen, am besten neue Fachkräfte, die sich ausschließlich auf dieses Thema fokussieren. „Neue Stellen sind politisch aber oft ein heißes Thema“, weiß codia-Geschäftsführer Philipp Perplies. Die Städte Osnabrück und Wuppertal, der Kreis Borken sowie andere codia-Kunden haben genau dies schon vor Jahren getan. Sie haben ein Digitalisierungsteam oder eigene E-Government-Beauftragte abgestellt und diese im Bereich ECM/E-Akte geschult. Perplies: „Solche Teams, bestehend aus Digitalisierungsexperten, haben dann auch erfolgreich ihre Verwaltungen digitalisiert.“
Etablierte Standardlösungen
Die ECM-Fachleute raten davon ab, sich zu sehr auf eine Individualisierung von E-Akten je Abteilung zu konzentrieren. Dabei verliere man sich schnell in Details und bremse das Projekt nur aus. Besser seien etablierte Standardlösungen, die vielleicht nur zu 80 Prozent perfekt sind, aber dennoch eine große Verbesserung zum früheren papierbasierten Arbeiten darstellen. Ziel sollte es sein, die E-Akte schnell flächendeckend zur Verfügung zu stellen und sich erst im Anschluss um Individualisierung zu kümmern. Standard heißt hier: Dort, wo keine strukturierte Fallbearbeitung stattfindet, kann man auch mit einer allgemeinen Sachakte für die Schriftgutverwaltung arbeiten. Für Spezialbereiche wie das Wohngeld oder das Steueramt kommen dann individuelle Fallakten zum Einsatz, für die alle Anbieter heute fertige Templates zur Verfügung stellen.
Torge Link, Team-Leiter Public Solutions beim codia-Partnerunternehmen xSuite Group, einem Spezialisten für Eingangsrechnungsverarbeitung, erklärt: „Eine der großen Herausforderungen beim Thema E-Akte ist sicherlich die Dezentralität in den Kommunen und die Vielfalt der E-Akte. Es gibt in einer Kommunalverwaltung sehr viele Fachbereiche mit unterschiedlichen Anforderungen, welche es zu berücksichtigen gilt. Die E-Akte muss stückweise weiterentwickelt werden, anstatt dass man gleich den großen Wurf macht.“
Prozesse in die Wege leiten
Um ein Digitalisierungsprojekt in seiner ganzen Komplexität zu meistern, benötigt man zunächst entsprechendes technisches Wissen. ECM ist darüber hinaus aber in weiten Teilen ein organisatorisches Projekt. Was die Aktenführung angeht, gibt es oft veraltete Vorgaben. Hier gilt es, Change-Management-Prozesse in die Wege zu leiten.
Dass die E-Akte zwar als technisches Vorhaben gilt, dabei aber vor allem organisatorische Herausforderungen mit sich bringt, bestätigt Professor Robert Müller-Török von der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg auf dem Online-Portal VdZ.org (Verwaltung der Zukunft). Für ihn ist die digitale Akte sogar das wohl „größte Reformprojekt der Verwaltung seit über 200 Jahren“. Dabei ginge es nicht bloß um eine „Elektrifizierung bestehender Abläufe“, sondern um eine fundamentale Neugestaltung von Arbeitsprozessen und Arbeitsweisen. Starke Unterstützung der politischen Spitze sei deshalb gefragt, in der täglichen Umsetzung und über einen sehr langen Zeitraum hinweg.
Nichtakzeptanz der Anwender
Optimal-Systems-Vertriebsleiter Harro Mrosowsky zufolge zählt die fehlende Unterstützung von höherer politischer Ebene zu den größten Hindernissen der Verwaltungsdigitalisierung. „Hier hat sich in den vergangenen Jahren mit Förderprogrammen und der Gesetzgebung im Bereich E-Government zwar viel getan“, konstatiert er, „es mangelt aber weiterhin an der Bereitschaft zur Veränderung.“ Hinzu kämen fehlende finanzielle Mittel und knappe personelle Ressourcen.
Das Forum Agile Verwaltung befragte Ende vergangenen Jahres 60 Kommunalvertreter aus Süddeutschland zu ihrem Zufriedenheitsgrad mit Dokumenten-Management-Systemen. Es ist keine repräsentative Umfrage, aber als Schlaglicht dürfte das Ergebnis die ECM-Hersteller dennoch aufhorchen lassen. So ist bei denjenigen, die aktiv mit einer ECM-Software arbeiten, diese bei Weitem nicht das System, das – so wie zuvor Windows – als führende Anwendung den Arbeitsalltag formt. Und ein Drittel der Befragten hält die Arbeit damit für umständlicher als unter Windows. Wolf Steinbrecher vom Forum Agile Verwaltung sagt: „Unsere Befragung untermauert eine Behauptung des Bundesverwaltungsamts: Wenn ECM-Projekte scheitern, dann vor allem an der Nichtakzeptanz der Anwenderinnen und Anwender.“
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