Montag, 23. Dezember 2024

KommentarMotor für Verbesserung

[23.06.2022] Das Ziel des OZG, nahezu alle Verwaltungsdienstleistungen bis Jahresende online verfügbar zu machen, wird verfehlt. Wie es dazu kommen konnte und warum das Gesetz dennoch nutzenstiftend für die Gesellschaft ist, wird in dem Beitrag erläutert.
Onlinezugangsgesetz verändert die Verwaltung.

Onlinezugangsgesetz verändert die Verwaltung.

(Bildquelle: ipuwadol/stock.adobe.com)

Die Länder fordern eine Neuauflage des Onlinezugangsgesetzes (OZG) (wir berichteten). Denn es wird immer offensichtlicher, was kaum jemand laut ausspricht: Das Ziel, alle Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 für die Bürgerinnen und Bürger online erreichbar zu machen, ist bundesweit gescheitert. Wie das passieren konnte, soll anhand von fünf Thesen erläutert werden.
These eins: Die Onliner wollen die Offliner modernisieren. Modern denkende und handelnde Menschen erwarten serviceorientierte Infrastrukturen. Diese Bevölkerungsgruppe, hier die Onliner, bestellt Waren wie auch Güter über diverse Online-Portale und wickelt Bank- sowie Versicherungsgeschäfte über das Internet ab. Die Nutzung dieser Dienste hat zur Folge, dass insbesondere die Nebenkosten der gleichen Güter, Waren und Dienstleistungen im Filialgeschäft steigen und im Ergebnis ganze Einzelhandelshäuser verschwinden. Andere Dienstleister sowie Händler verlagern ihr Angebot – zumindest teilweise – ins Internet. Das ist effizient, da die dahinterliegenden Prozessketten und Abläufe an die neue Welt angepasst werden können, ohne parallel die alte bedienen zu müssen. Die Offliner werden dadurch gezwungen, in die neue Welt einzutauchen. Der Staat darf so jedoch nicht handeln und Leistungen aus dem Bürgerbüro ausschließlich in die Online-Welt verlagern. Verwaltungen müssen auch vor Ort erreichbar bleiben. Für die Beschäftigten bedeutet das wiederum, dass sie beide Welten bedienen können müssen.

Verunsicherung auf kommunaler Ebene

These zwei: Die Herausforderungen wurden „zu Deutsch“ angegangen. Ein einfaches Gesetz zur Erleichterung des Online-Zugangs zu Verwaltungsleistungen wurde und wird an vielen Stellen mit der Zielmotivation gleichgesetzt, Verwaltungsleistungen zu hundert Prozent neu zu denken. Dabei unterliegt der Gesetzgeber Bund der falschen Vorstellung, dass es bis dato keine digitalen Angebote gegeben hat und vermittelt medien- sowie öffentlichkeitswirksam über staatliche Förderprogramme den Eindruck, er kümmere sich um alles. Genau diese Aussagen – sowohl hinsichtlich der Integrationstiefe der Dienste als auch hinsichtlich der föderalen Strukturen – sorgen insbesondere dort, wo die größte Leistungsbreite verankert ist (also auf kommunaler Ebene) einerseits für den Glauben, dass man nicht vergessen wird, und schüren andererseits die Erwartungshaltung, dass es nichts kosten wird. Mit der Erfindung des Paradoxons „Einer für alle“ wird dieser Gedanke bei den Entscheidern auf kommunaler Ebene noch verstärkt.

Was in Modellregionen läuft, läuft nicht überall

These drei: Die Rechnung wurde ohne das Recht gemacht. Das deutsche Recht ist kein Online-Recht. Gesetze basieren hierzulande seit mittlerweile über 100 Jahren auf den schriftlich verfassten Gedanken der Demokratie. Bestehende Gesetze werden nicht abgeschafft, sondern allenfalls verändert und angepasst. Spezialrecht gilt im Laufe der Zeit nicht mehr allein in fachlichen Zuständigkeiten, sondern wirkt sich auch in durch andere Gesetze geregelte Bereiche aus. Dieser fein gewobene Teppich aus Abhängigkeiten, Bedingungen und Voraussetzungen ist ein Uhrwerk, für das jede Neuerung zunächst einmal Sand im Getriebe bedeutet. Da helfen an manchen Stellen Experimentierklauseln und an anderen Stellen der gute Wille, bestehendes Recht zu dehnen und zu verändern. Das geschieht in mit zusätzlichen Geldmitteln versorgten Modellregionen. Die so erstellten Dienste funktionieren in den Modellregionen. Bei der Übertragung auf andere Zuständigkeitsbereiche wird jedoch eine Veränderungsnotwendigkeit nicht nur im Recht offensichtlich, sondern auch in der Ablaufumgebung sowie IT-Architektur. Letztere verändert sich jedoch deutlich schneller, als es Papier und Recht können. Und auch die Anforderungen der Konsumenten verändern sich schneller, als der Gesetzgeber in der Lage ist, die Gesetze flächendeckend an diese Bedürfnisse anzupassen.

Verstaatlichung statt Marktwirtschaft

These vier: Verstaatlichung von Leistung, die bereits marktwirtschaftlich erbracht wird. Der Konsument steht im Mittelpunkt jedes marktwirtschaftlichen Angebots. Der Internet-Handel ist momentan eine der erfolgreichsten Unternehmensformen. Egal ob haptische Waren, Reisen, Bankgeschäfte oder Versicherungen: Wer online konsumiert, tut dies günstiger als im Ladengeschäft. Auf Ebene der Verwaltungen funktioniert das allerdings nicht in gleicher Weise. Leistungsangebote müssen qua Grundgesetz in gleichartiger Form über mehrere Kanäle verfügbar gemacht werden. Entsprechende Angebote, Verwaltungsdienstleistungen auch online abzuwickeln, existieren, seit es das Internet gibt – und zwar in friedlicher Koexistenz zu den eta­blierten Verfahren in den Amtsstuben und Bürgerbüros. Den Spagat, beides anzubieten, haben jedoch nicht alle Verwaltungen geschafft, da die Bereitstellung zusätzlicher Kanäle auch weitere Arbeit und Ressourcen bedeutet. Zugleich wird der Nachwuchs durch attraktivere privatwirtschaftliche Arbeitsangebote von den Verwaltungen ferngehalten. Eine sinkende Reproduktionsrate der Gesellschaft verstärkt diesen Effekt.

Flächendeckung nicht gegeben

Innovative Landräte und Bürgermeister, aber auch Landes- und Bundesregierungen haben hie und da strategische Ansätze zur Digitalisierung von Verwaltungsleistungen realisiert. Während auf Bundes- sowie auf Landesebene über entsprechende Budgetzuweisungen auch große Lösungen geschaffen werden konnten, deren Nachnutzungseffekte in verwandten Verwaltungen dennoch nicht greifen, ist auf kommunaler Ebene ein Serviceangebot entstanden, das bei diversen Behörden eingesetzt wird, aber eben nicht flächendeckend – weder fachlich noch geografisch. Dennoch gibt es gleichartige Dienste sowohl über einige Fachverfahrensanbieter als auch über verschiedene Antragsmanagement-Systeme.
These fünf: Der Mensch denkt egoistisch und nicht überzyklisch. Menschen wollen sichtbare Ergebnisse erzielen, die ihrem Wirken erlebbar zugeordnet sind. Es gibt sicherlich Visionäre, die mit ihrem Tun und Wirken Großes erschaffen. Die Mehrheit besteht jedoch aus einzelnen Charakteren mit ihrer jeweiligen Motivation und Bereitschaft, Dinge mehr oder weniger schnell zu realisieren. Hier gilt die Weisheit „Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied“.

Veränderung gestalten und Modernisierungschancen nutzen

Auch wenn es den Anschein erwecken mag, war das OZG nicht umsonst. Es ist, wie so viele Technologiegesetze, ein Motor für die intensive Auseinandersetzung mit Verbesserungspotenzialen. Nur so kann zusätzliches Kapital helfen, Bestehendes neu zu denken. Das OZG wird insoweit nie als erfüllt angesehen werden können, da selbst nach Bereitstellung der initialen Erreichbarkeit aller Verwaltungsleistungen in einigen Jahren die Prozessoptimierung parallel weiter voranschreiten wird. Dabei werden die Wege der Informationsflüsse, die Anwendung von jeweils verfügbaren Technologien und die Wahrung der erforderlichen Datenschutzbedürfnisse immer wieder neu gedacht, beschritten und vollzogen werden – bis hin zur Schaffung und Anpassung der dafür notwendigen technischen wie legislativen Rahmenbedingungen.
Eine Veränderungsbereitschaft musste entstehen und sich verstetigen. Die daraus resultierende Akzeptanz neuer Technologien lenkt den aufmerksamen Innovator auch auf vorhandene Angebote. Mit bestehenden Ressourcen kann Veränderung nicht stattfinden, sie kann nur dann erfolgreich verstetigt werden, wenn dafür entsprechende Budgets bereitgestellt werden. Was können Verwaltungen dabei mit den Personal- und Kostenbudgets tun? Mit bestehenden Technologien Veränderung gestalten und Modernisierungschancen nutzen.

Olaf Rohstock ist Geschäftsführer Marketing und Vertrieb bei der Form-Solutions GmbH.


Stichwörter: Panorama, OZG


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