MünchenMünchen leuchtet digital
Herr Glock, was zeichnet die Digitalisierungsstrategie der Stadt München aus?
Wolfgang Glock: Digitalisierung ist nicht nur IT, sondern ein Kulturwandel. Deshalb muss sie die Nutzenden im Blick haben, an die sich die Digitalisierung wendet. Die Digitalisierungsstrategie Münchens wurde 2019 aufgesetzt. Während früher die IT und die Verwaltung im Zentrum standen, hat sich jetzt der Schwerpunkt auf die Stadtgesellschaft und die Infrastruktur verschoben. Mit Themen wie E-Government und Open Government spielt aber auch die Verwaltung weiterhin eine prominente Rolle. Zudem orientieren sich die bayerische Landeshauptstadt und ihre Projekte an verschiedenen strategischen Prinzipien. Hierzu zählen Nachhaltigkeit, Transparenz, Offenheit und Orientierung an den Nutzenden. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der IT-Sicherheit und dem Datenschutz, da sie für die Reputation der Verwaltung verantwortlich sind.
Herr Ochs, die Stadtwerke München haben ebenfalls eine IT- und Digitalisierungsstrategie. Wie korrespondiert diese mit derjenigen der Stadtverwaltung?
Jörg Ochs: Wir stehen seit über 100 Jahren für die kommunale Daseinsvorsorge der bayerischen Metropole. Durch die Vereinigung der beiden aufeinander abgestimmten Digitalisierungsstrategien, sowohl der Landeshauptstadt als auch der Stadtwerke München, entsteht bei uns ein zukunftsweisender Plan für die digitale Stadt München. Das ist besonders wichtig, weil die Bevölkerung der Landeshauptstadt in den nächsten zehn Jahren um 200.000 Neubürger zunehmen wird. Die Metropolregion wächst parallel dazu noch deutlich stärker, man rechnet mit circa 600.000 Neubürgern. Die Bevölkerungsentwicklung hat Auswirkungen auf die Energieversorgung. Zusätzlich wollen wir ab 2025 so viel Ökostrom in eigenen Anlagen erzeugen wie ganz München verbraucht. Bis spätestens 2040 wollen wir die Stadt auch mit regenerativer Wärme versorgen. Um dieses Wachstum zu bewältigen, brauchen wir intelligente, digitale Lösungen mit zukunftsweisenden Technologien, wie etwa künstliche Intelligenz und Quantencomputing.
Herr Hagl, ist München überhaupt vergleichbar mit anderen Kommunen? Und falls ja, ist der Strategieansatz der Stadt auf andere Kommunen übertragbar?
Nikolaus Hagl: Der in München vorliegende integrierte Ansatz, also die Zusammenarbeit von Verwaltung, Infrastrukturbereichen und Stadtgesellschaft, gilt unabhängig von der Kommune. Übertragbar ist außerdem die Idee der Münchner Digitalisierungsstrategie, die sich nicht nur als IT-Projekt, sondern als ganzheitliches Vorhaben begreift. Der ganzheitliche Ansatz kommt etwa beim Thema Nachhaltigkeit zum Tragen, denn hier steht die Frage im Vordergrund, wie in der Digitalisierung ein Mind Shift stattfinden kann. Zudem setzt München auf Kooperationen und tauscht sich mit anderen Städten darüber aus, wie man gemeinsame Ansätze schaffen kann. Hierbei wird auch berücksichtigt, wie man in Richtung eines Technologieanbieters die Anforderungen so formuliert, dass über ein einzelnes Projekt hinaus gemeinsame Lösungen geschaffen werden. Ein weiterer Erfolgsfaktor der Stadt München ist das Vorhandensein einer Strategieabteilung wie Digital@M, die den ganzheitlichen Prozess von der Vision bis in die Umsetzung betreut und bündelt.
Herr Glock, Kernbereich der Digitalisierungsstrategie, so sagten Sie, ist die Infrastruktur. Wo steht die Stadtverwaltung München bei der Digitalisierung?
Wolfgang Glock: Beim E-Government treibt uns vor allem das Onlinezugangsgesetz (OZG). Es umfasst 575 Leistungsbündel, hinter denen über tausend Einzeldienste stecken. Unser Auftrag ist es, hiermit bis Ende 2022 fertig zu werden. Mit dem Abschluss wollen wir ein München-Portal der Zukunft haben. Dieses soll als One-Stop-Shop funktionieren und mit den großen Online-Shops vergleichbar sein. Die Dienste wollen wir sowohl leichtgewichtiger als auch bürgerorientierter anlegen und im Zweifelsfall auch den Verwaltungsprozess vermeiden. Das heißt, die Dienste so aufzubauen, dass wir eine hohe Automatisierung haben und alles selbsterklärend zu nutzen ist. Neben dem sukzessiven Ausbau des Angebots adressieren wir Themen wie Beteiligung, Open Government und Transparenz.
Was können Sie Kollegen aus anderen Kommunen für Hinweise bezüglich der Erfolgsfaktoren für die Digitalisierung eben dieser Services geben?
Wolfgang Glock: Machen. Den Prozess, ohne zu zögern, proaktiv voranzutreiben und Regularien zu prüfen. Wir haben mittlerweile eine Infrastruktur aufgebaut, innerhalb derer wir sehr eng mit anderen Fachbereichen kooperieren. Zudem arbeiten wir mit anderen Städten zusammen. Da das Thema OZG riesig ist, kann es einer allein nicht umsetzen. Bei auftretenden Problemen empfehle ich, Alternativen oder auch mal ein abgespecktes Szenario auszuprobieren.
Herr Hagl, SAP liefert IT-Lösungen und Plattformen für die Stadt München. Wie unterstützen Sie sowohl die Stadt als auch die Stadtwerke München bei der Umsetzung der eben skizzierten Digitalisierungsstrategie?
Nikolaus Hagl: Wir sehen uns nicht ausschließlich als Software-Lieferanten. Das gilt für München, aber auch für andere Kommunen und Kundenbeziehungen. In München haben wir zum Beispiel eine strategische Partnerschaft mit der Landeshauptstadt geschlossen. Dadurch bleiben wir über die aktuelle Technologie hinaus in einem permanenten Dialog und behalten dabei das große Ziel im Auge. Digitalisierung bedeutet nicht, lediglich eine neue Software oder eine neue Technologie auf die bestehenden Prozesse aufzusetzen, sondern ein Prozess-Redesign umzusetzen. Hierbei leisten wir Hilfestellung. Auch bei den Stadtwerken ermöglichen wir die Transformation, indem wir schauen, wie Dinge mithilfe von Internet-of-Things-(IoT)-Plattformen so kommunizieren, dass sie mit einem SAP-System in einem End-to-End-Prozess verbucht werden können. Bei der Umsetzung der Digitalisierung in München handelt es sich also um einen kontinuierlichen Austauschprozess, bei dem wir in kleinen Schritten versuchen, ein übergeordnetes Ziel zu erreichen. Dieses Vorgehen kann für andere Kommunen als Blaupause genutzt werden. Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Kollaborationsplattform Munich Urban Colab. Dort sind wir alle als Partner involviert und versuchen, mit kleinen Start-ups in München neue Mobilitätskonzepte zunächst zu erforschen und dann umzusetzen.
Herr Ochs, gerade die Stadtwerke München haben viele Projekte, die in Richtung Smart City gehen. Welche würden Sie hier hervorheben?
Jörg Ochs: Natürlich sind wir bei den großen Smart-City-Projekten in München dabei, unter anderem bei Smarter Together. In den vergangenen circa sieben, acht Jahren haben wir viele kleine Bausteine erstellt, die sich jetzt wie bei einem Puzzle immer mehr zu einem Gesamten zusammenfügen. Um ein Beispiel zu nennen: Auf der Digicon in München haben wir 2021 mit einem Smart-City-Thema den dritten Platz beim Munich Digital Innovation Award belegen können. In dem ausgezeichneten Projekt haben wir Cloud-Dienste wie multilinguale Text-to-Speech-Komponenten, Auslastungsdaten der U-Bahn oder die Indoor-Navigation in den U-Bahnhöfen in einer App gekoppelt. Diese kommt in der Münchner U-Bahn zum Einsatz. Da es dort etliche Durchsagen gibt, kommt hier das Text-to-Speech zum Tragen. Mit der App kann man am Bahnhof einen Barcode scannen, sodass diese weiß, wo man sich befindet. Die Durchsagen werden dann an diejenige Sprache angepasst, die im Handy jeweils eingestellt ist. Ein weiterer Vorteil der App ist, dass sie unter Rückgriff auf Live-Daten anzeigen kann, welcher Wagen wie stark besetzt ist. Schwierigster Part ist die Indoor-Navigation, weil man in U-Bahnen kein GPS-Signal hat. Deshalb bedarf es anderer Möglichkeiten. Zudem sind die Wege deutlich kürzer, sodass die Navigation auf mindestens drei Meter genau sein muss. Neben diesem Beispiel haben wir aber auch andere IoT-Lösungen in der Versorgungssicherheit im Einsatz. So erkennen wir beispielsweise mittels Machine-Learning-Algorithmen frühzeitig Wasserverluste.
Könnten Sie das Thema IoT-Sensoren, die über LoRaWAN die Daten senden, noch genauer ausführen? Sie haben jetzt als Beispiel Wasserverluste genannt.
Jörg Ochs: Ein Mal im Jahr gehen wir das Münchner Wassernetz mit der Netzsucherkontrolle komplett ab, um mithilfe eines Stethoskops herauszufinden, wo Leckagen sein könnten. Im schlechtesten Fall verlieren wir also für ein ganzes Jahr Wasser, wenn dort zu früh abgehört wird. Was ein Lecksucher macht, kann auch mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) oder Machine Learning geleistet werden. Zusammen mit der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) haben wir deshalb sechs Körperschallsensoren auf Wasserleitungen angebracht, die Daten aufgenommen und dann in Kooperation mit der LMU einen Deep-Learning-Algorithmus ermittelt, der im Voraus erkennt, wo eine Leckage ist.
In dem Projekt Connected Urban Twins (CUT) arbeiten mehrere Kommunen zusammen. Die Stadt München etwa kooperiert innerhalb dieses Projekts mit Hamburg und Leipzig. Welche Idee steckt dahinter?
Wolfgang Glock: In dem Projekt baut jeder für sich, aber trotzdem in einer Art Wechselspiel digitale Zwillinge als Abbild der Stadt. Dabei stellen wir uns gegenseitig Lösungen zur Verfügung, um so die Kompetenzen der drei Städte zu bündeln. Momentan liegt der Fokus auf der integrierten Stadtentwicklung. Die Projekte sollen dann auf einer Datenplattform präsentiert werden. Außerdem erstellen wir Gebäudemodelle, die eine Antwort auf die Frage liefern, wie man in einer Stadt plant und die Infrastruktur optimiert. Die Kooperation soll dabei helfen, Standardisierung und Offenheit zu erreichen. Innerhalb dieses Programms werden wir außerdem im Rahmen des so genannten Eisbrecher-Projekts vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) gefördert. Hierbei handelt es sich um das größte Projekt des Programms, das eine Vorbildfunktion für andere Städte einnimmt: Es soll sie dabei anleiten, ebenfalls eine entsprechende Plattform zu entwickeln, die von anderen genutzt werden kann.
Herr Ochs, könnten Sie ergänzen, inwiefern die Stadtwerke München in das Thema integrierte Stadtentwicklung mittels digitaler Zwillinge und Datenplattform involviert sind?
Jörg Ochs: Auch wir haben natürlich unsere digitalen Zwillinge. Ein Beispiel aus dem Bereich der Energieversorgung ist das digitale Umspannwerk. Da Strom Teil der kommunalen Daseinsvorsorge ist, benötigen wir zukünftig ein digitales Abbild des Umspannwerks, und das auf allen Ebenen: vom Gebäude über die Primärtechnik – also die Stromverteilung oder Umspannung – bis hin zur Sekundärtechnik, die das Ganze steuert und schützt. Hierbei muss zunächst die Hülle digitalisiert werden, um beispielsweise im Voraus einschätzen zu können, welche Geräte hineinpassen. Als nächstes kommt die Primärtechnik in Betracht, die Aufschluss darüber gibt, welche Energieversorgung genutzt wird. Dadurch lässt sich absehen, ob die Energiewege passen, welche Energie herauskommt und ob eventuell Engpässe oder Leerräume vorliegen. Zuletzt spielt die Schutz- und Sekundärtechnik eine Rolle, also die Software, die solche Umspannwerke steuert. Meine Vision hierbei ist, das komplette Stromnetz von München zu simulieren und in einem digitalen Zwilling vorliegen zu haben, bevor eine neue Firmware ein Schutzgerät aufspielt. So können Stromausfälle oder Unterbrechungen ausgeschlossen werden.
Herr Hagl, welche SAP-Lösungen und -Technologien kommen bei diesen Projekten zum Einsatz?
Nikolaus Hagl: Mit unseren Plattform-Lösungen liefern wir das technologische Fundament, um solche Projekte abzubilden, wie sie Wolfgang Glock und Jörg Ochs eben beschrieben haben. Die Basis hierfür stellt die Datenbank SAP HANA dar. Mit ihr lässt sich die Fülle der Informationen erfassen, aber auch die gesamte Applikationsschicht. So stellen wir beispielsweise die Abrechnungs- und Mobilitätskonzepte standardisiert in einem digitalen Kern zur Verfügung, der dann auf einer Plattform so erweitert werden kann, dass er den Nutzeranforderungen der Bürgerinnen und Bürger entspricht. Aber auch im Bereich der Digital Twins bieten wir Lösungskomponenten an, so etwa im Erhaltungsmanagement. Damit lassen sich unter anderem Gebäude, die Infrastruktur und Brücken in einem 3D-Modell komplett digital abbilden. Außerdem stellen wir mit der Analytics Cloud Analysewerkzeuge zur Verfügung, um entsprechende Projekte auszuwerten, zu planen und zu simulieren.
Frage aus dem Publikum: Wie gelingt es Ihnen, die richtigen Mitarbeitenden an die richtige Stelle zu bekommen, und welchen Tipp hätten Sie für andere Städte, die nicht die Ausstrahlung von München besitzen?
Wolfgang Glock: Sichtbar werden. Für Kommunen aber auch für Landesverwaltungen ist es wichtig, in die Köpfe der Zielgruppen zu schauen. Um dies zu erreichen, haben wir kürzlich an einem von der TU München organisierten Hackathon teilgenommen. Zudem ist es wichtig, innovative Themen anzubieten. Dabei helfen etwa der Innovationswettbewerb des Referats für Arbeit und Wirtschaft, in dessen Rahmen wir für verschiedene Themen am Markt Lösungen suchen. Man muss Präsenz zeigen, damit man auf den Radar der Jobsuchenden gelangt.
Jörg Ochs: Als IT-Arbeitgeber haben die Stadtwerke München ein Bekanntheitsproblem. Um das zu ändern, sind wir mit unseren Projekten an die Öffentlichkeit gegangen. Mittels Kinowerbung, Anzeigen in Zeitungen und auf Litfaßsäulen haben wir um Mitarbeiter geworben. Außerdem stellen wir unsere Projekte bei Großveranstaltungen wie der Digicon vor. So konnten wir in den vergangenen zwei Jahren jeweils 100 neue IT-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter einstellen.
Herr Hagl, früher hat man von IT-gestützter Verwaltungsmodernisierung gesprochen, heute geht es um die digitale Transformation der ganzen Stadt. Warum spricht man jetzt von einem Kulturwandel?
Nikolaus Hagl: Von einem Kulturwandel kann man sprechen, weil ein ganzheitliches Umdenken stattfindet. Digitalisierung funktioniert nur, wenn die Bereitschaft für ein Umdenken besteht. Dies gilt es zu fördern.
Herr Ochs, der Kulturwandel betrifft sicherlich auch die Stadtwerke. Wie macht sich der Kulturwandel in einem kommunalen Konzern bemerkbar?
Jörg Ochs: Wir leben in einem disruptiven, schnelllebigen Zeitalter der Digitalisierung, aber auch des Klimawandels. Folglich dominiert zunehmend das Thema Nachhaltigkeit. Um diese Faktoren zukunftssicher auszurichten, ist ein Kulturwandel vonnöten.
Herr Hagl, als Leiter Public & Energy haben Sie Einblick in mehrere Kommunen. Was können andere Städte von München lernen?
Nikolaus Hagl: Vorbildlich ist zum einen der Ansatz, bei dem der tatsächliche Adressat oder der Nutznießer des Prozesses im Mittelpunkt steht. Zum anderen ist das Schmieden von Allianzen zu nennen, also dass man sich starke Partner sucht. Der entscheidende Punkt ist, dass man in München zusammen überlegt, wie man vorwärts kommt. Mein Tipp lautet also: Um erfolgreich zu sein, gilt es, die richtigen Allianzen zu schmieden.
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