Sonntag, 6. Oktober 2024

BürgerbeteiligungNeue Formate erproben

[16.01.2020] Bürgerliches Engagement braucht moderne und spezifische Beteiligungsformate – am besten gemeinsam mit der Zivilgesellschaft entwickelt. Das Fraunhofer-Institut FOKUS erprobt im Rahmen des Projekts KiezRadar neue Wege bürgerzentrierter Beteiligung.
Beteiligung der Bürger kann Proteste verhindern.

Beteiligung der Bürger kann Proteste verhindern.

(Bildquelle: creativ collection Verlag)

Ob Klimakrise, Verkehrs­wende oder Hilfe für Geflüchtete: In Deutschland gehen hunderttausende Menschen auf die Straße, um eine andere Politik zu fordern, Bürgerinnen und Bürger entwickeln Konzepte für die Verkehrswende oder vermitteln in Selbstorganisation Unterkünfte, Jobs und Kleidung an Geflüchtete. Ziviles Engagement ist vielfältig und zeigt deutlich: Viele Bürger wollen sich an der Gestaltung der Gesellschaft beteiligen – und das zielorientiert, unkompliziert und vernetzt.
Die bestehenden Beteiligungsformate der Verwaltung reichen dafür oft nicht aus. Trotz einer wachsenden Zahl an Angeboten folgen viele demselben Prinzip: Ob Bürgerhaushalt, Mängelmelder oder Vorschlagswesen – ein großer Teil ist als Kanal für Vorschläge oder Beschwerden konzipiert. Bei der Verwaltung ist dieser direkte Draht zu den Bürgern beliebt und erprobt. Die Bürger wiederum freuen sich, wenn sie den Bearbeitungsstand ihres Vorschlags gleich mitverfolgen können.
Um thematisch in die Tiefe zu gehen, das Für und Wider komplexer Sachverhalte zu erörtern oder systematische Planungen vorzunehmen, sind die Angebote jedoch oft zu allgemein und unstrukturiert. In der Folge beteiligen sich nur wenige Personen aus zumeist gleichen Kreisen, und sowohl die Vielfalt als auch die Kreativität der Beiträge lassen zu wünschen übrig. Das scheinbare politische Desinteresse fördert wiederum, dass die Verwaltung das Thema Open Government nach Schema F abhandelt. Viele Möglichkeiten digitaler Beteiligung bleiben so ungenutzt.

Hürde: Tempo der Verwaltung

Eine tiefere Debatte wird durch themenspezifische und anlassbezogene Beteiligungsprojekte erreicht. Positive Beispiele hierfür gibt es im Bereich Stadtentwicklung. Die Freie und Hansestadt Hamburg etwa bietet für städtische Planungsverfahren eine Möglichkeit zur Teilhabe via digitalem Partizipationssystem. Seit 2017 läuft das Projekt namens DIPAS (Digitales Partizipationssystem), das durch den Einsatz von digitalen Planungstischen analoge und digitale Welt verbindet.
Eine große Hürde, die den eingangs skizzierten zivilen Beteiligungswillen erheblich ausbremst, bleibt jedoch bestehen: das Tempo der Verwaltung. Ein Beispiel aus Berlin: Hier besteht der Planungsprozess eines Zebrastreifens aus 18 Einzelschritten und dauert im Schnitt fünf Jahre. Wie viele Bürger haben den erforderlichen Durchhaltewillen, um eine Verkehrswende mitzugestalten, wenn schon die Umsetzung eines einzigen Zebrastreifens derart lange dauert? Wirkungsvolle Beteiligung setzt daher stets auch eine konsequente Reflexion und Vereinfachung von Verwaltungsabläufen voraus.
Dennoch bleibt es herausfordernd, komplexe Planungsprozesse mit dem Gestaltungswillen der Bürger und der Schnelllebigkeit politischer Themen in Einklang zu bringen. Halbherzig umgesetzte Beteiligungsformate werden der Aufgabe nicht gerecht, Bürger ernsthaft an der gesellschaftlichen Entwicklung teilhaben zu lassen. Stattdessen sollte sich die Verwaltung mehr trauen und für die dynamische Erprobung neuer Beteiligungsformate öffnen. Das Potenzial, dabei von einer Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft zu profitieren, ist hoch. Bei Themen wie Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und innerstädtische Mobilität entwickeln soziale und politische Initiativen längst eigene Ideen und digitale Lösungen. Statt konkurrierende Plattformen zu schaffen, sollte die Verwaltung gezielt innovative Formate fördern oder Bürger frühzeitig in die Entstehung neuer Formate einbinden.

Bürger im Mittelpunkt

Bürgerzentrierte Beteiligung stellt den Bürger mit seinen Zielen, Aufgaben und Eigenschaften in den Mittelpunkt. Dafür müssen sich Verwaltung und Bürger austauschen. Interviews, Befragungen oder Workshops eignen sich besonders gut, um Anforderungen an Beteiligungsformate zu sammeln. Nach dem Prinzip des Design Thinking lassen sich Ideen und erste Lösungsansätze gemeinsam entwickeln und als Prototypen umsetzen. Dabei müssen nicht direkt perfekte Lösungen entstehen. Wichtig ist, genügend Raum zu lassen, um neue Konzepte zu erproben, zu verbessern oder zu verwerfen.
Wie dies in der Praxis aussehen kann, zeigt das Projekt KiezRadar der Senatskanzlei Berlin. Die Hauptstadt gehört zu den wenigen Städten, die mit meinBerlin.de eine eigene Plattform zur Bündelung stadteigener Beteiligungsvorhaben anbietet. Künftig soll eine App, die das Fraunhofer-Institut FOKUS derzeit entwickelt, Bürger noch zielgerichteter über Beteiligungsmöglichkeiten informieren und sicherstellen, dass diese keine für sie relevanten Ereignisse verpassen. Durch proaktive, personalisierte und ortsbezogene Information via Smartphone soll die KiezRadar-App mehr Menschen für Bürgerbeteiligung gewinnen. Über welche Vorhaben die Nutzer informiert werden, sollen sie in der App selbst einstellen können.
Im Sinne einer bürgerzentrierten Entwicklung werden die Bürger von Beginn an eingebunden: In zwei Workshops erarbeitet Fraunhofer FOKUS gemeinsam mit der Verwaltung und künftigen Nutzern, über welche Ereignisse die Bürger Berlins informiert werden möchten und welche Bedienkonzepte sie favorisieren. Nach seiner Fertigstellung soll das Pilotsystem ebenfalls unter Bürgerbeteiligung getestet und im neuen Stadtlabor CityLAB Berlin erlebbar gemacht werden.

Noch viel mehr Potenzial

Digitale Lösungen sozialer politischer Initiativen kann die Verwaltung auf verschiedene Arten fördern: indem sie Fördermittel oder nützliche Daten zur Verfügung stellt, die Beiträge der Bürger verbindlich bearbeitet und die Ergebnisse rückkoppelt. Umgekehrt kann die Verwaltung solche gemeinsamen Plattformen auch für eigene Belange nutzen, etwa um gezielt Informationen abzufragen und gleichzeitig auf den Schutz sensibler Daten hinzuwirken. Ein Beispiel für ein kooperatives Projekt ist die Plattform FixMyBerlin. Die interaktive Karte sorgt für einen schnellen Überblick über bestehende und geplante Radwege innerhalb Berlins. Entwickelt wird die Plattform von einer Gruppe engagierter Berliner, die Daten kommen von den Berliner Bezirksämtern. FixMyBerlin soll künftig als Grundlage für Bürgerdialoge zum Thema Fahrrad-Infrastruktur genutzt werden.
Die Beispiele zeigen, dass es viele Anknüpfungspunkte für bürgerzentrierte Beteiligung gibt. Fest steht: Bürger in politische Prozesse einzubinden, birgt sehr viel mehr Potenzial, als die Verwaltung bisher erschlossen hat. Mit mehr Offenheit kann sie von der Zusammenarbeit nur profitieren.

Susanna Kuper arbeitet am Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Geschäftsbereich Digital Public Services.




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