Freitag, 18. April 2025

One Stop GovernmentNeuen Schwung nehmen

[14.11.2013] Die Nachfrage nach Online-Verwaltungsservices kann nicht allein durch technische Lösungen gesteigert werden. Es gilt, die Vision vom One Stop Government mit neuem Leben zu füllen und von der Möglichkeit zur Einrichtung einheitlicher Stellen Gebrauch zu machen.
Alte Vision mit neuem Leben füllen.

Alte Vision mit neuem Leben füllen.

(Bildquelle: PEAK)

Wer behauptet, die EU-Dienstleistungsrichtlinie (EU-DLR) sei eigentlich gar keine schlechte Sache gewesen, wird in Fachkreisen auf entgeistertes Stirnrunzeln stoßen. Zu hoch waren Erwartungen und Investitionen und zu enttäuschend gestaltet sich bis heute die Nachfrage durch die anvisierte Kundschaft, als dass sich noch jemand gerne mit dem Thema befassen möchte. Doch die verunglückte Umsetzung in Deutschland ist das eine, die hinter der Dienstleistungsrichtlinie stehenden verwaltungsorganisatorischen Ansätze etwas ganz anderes. Ein wesentliches Element der Richtlinie war die Einrichtung der Einheitlichen Ansprechpartner (EA), die gründungswilligen Unternehmern aus den EU-Mitgliedsstaaten die Erledigung von Formalitäten und damit den Zugang zu Märkten erleichtern sollen. Dabei gehört es zu den Skurrilitäten der Umsetzung in Deutschland, dass ernsthaft hinterfragt worden ist, ob die EA auch für inländische Unternehmer tätig werden können.

Silodenken überwinden

Die Idee, Verwaltungskunden mit einer einheitlichen Anlaufstelle die Suche nach zuständigen Ansprechpartnern zu ersparen, fand in Deutschland spätestens in den 1990er-Jahren im Zuge der Einrichtung kommunaler Bürgerbüros weite Verbreitung. Das grundlegende Konzept ist bis heute als One Stop Government bekannt: Gegenüber Bürgern und Unternehmen wird die verwaltungsinterne Arbeitsteilung durch Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle unsichtbar gemacht. Dieser Ansatz fand mit den Konzepten zu elektronischen Bürgerdiensten seine Fortsetzung und ist später auf den telefonischen Kanal ausgeweitet worden, indem Kommunen ihre Telefonzentralen zu leistungsfähigen Call Centern ausgebaut haben.
Doch während Bürgerbüros weitgehend auf das Aufgabenfeld einer einzelnen Kommunalverwaltung beschränkt bleiben, könnten E-Government-Angebote einen konsequent nachfrageorientierten Zugang zu Verwaltungsdiensten bieten – unabhängig davon, wer eine Leistung dann letztlich erbringt. Die Praxis ist jedoch eine andere: Jede Behörde pflegt ihre eigene Internet-Präsenz, sodass Zuständigkeitsgrenzen nicht überwunden, sondern nachgebildet wurden. An dieser Situation haben auch Verwaltungssuchmaschinen, Zuständigkeitsfinder und Landesportale wenig ändern können, zumal diese Dienste in der Bevölkerung weitgehend unbekannt geblieben sind. Wie schwer es ist, das verwaltungstypische Silodenken zu überwinden, zeigt sich auch daran, dass niemand mehr darüber nachzudenken scheint, wie mit dem rechtlichen Konstrukt der einheitlichen Stelle verfahren werden soll. Die Einrichtung solcher Stellen, die zwischen Kunden und sachlich zuständigen Behörden tätig werden können, ist im Zuge der Umsetzung der EU-DLR in die Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern aufgenommen worden. Allerdings macht niemand Gebrauch von diesen neuen Möglichkeiten.

Sind Transaktionen der richtige Weg?

Rückblickend ist festzustellen, dass die Umsetzung der EU-DLR darunter gelitten hat, dass nicht die Einrichtung bedarfsorientierter Anlauf- und Beratungsstellen im Mittelpunkt stand, sondern einmal mehr die Gestaltung von Online-Diensten. Das ist zum Teil sicherlich den Konstruktionsfehlern in der Richtlinie selbst geschuldet. Allerdings haben es Dienstleister und Anbieter technischer Lösungen auch verstanden, einen großen Teil der Aufmerksamkeit und der verfügbaren Mittel für sich zu vereinnahmen. Doch so anhaltend die Verwaltungsseite auch auf technische Lösungen für Online-Transaktionen fixiert ist, so desinteressiert zeigen sich in vielen Fällen die Adressaten. Ausbleibende Nachfrage wird aber mitnichten zum Anlass genommen, den eingeschlagenen Weg zu überdenken. Stattdessen wird versucht, das Angebot zu verbessern oder neue Dienste online zu stellen. Dahinter steht die Überzeugung, dass Transaktionen an sich schon der richtige Weg sind, es dem bestehenden Angebot eben nur an Attraktivität mangelt. Dass den Bürgern mit ganz anderen Varianten technisch unterstützter Verwaltungsdienste womöglich deutlich mehr geholfen wäre, kommt nicht in den Sinn.

Womit Verwaltungskunden wirklich gedient ist

Womit also ist den Verwaltungskunden wirklich gedient? Um diese Frage zu beantworten, hat Gerhard Schwabe, Professor an der Universität Zürich, die Unterscheidung zwischen distanziertem und nahem E-Government eingeführt. Distanziertes E-Government ist die Spielwiese für Transaktionen: Die Bürger haben ein überschaubares und vertrautes Anliegen, das sie möglichst bequem und schnell erledigen möchten. Nähe zur Verwaltung ist nicht erforderlich und vielfach auch nicht gewünscht. Typische Beispiele sind Steuererklärungen, Urkundenbestellungen oder die Reservierung von Wunschkennzeichen. Das nahe E-Government kümmert sich hingegen um komplizierte und dem Bürger in der Regel wenig vertraute Anliegen. Die Geburt eines Kindes, ein plötzlich eintretender familiärer Pflegefall oder eine persönliche Notlage sind Beispiele für Situationen, in denen vor allem eines gefragt ist: qualifizierte Beratung und Unterstützung durch kompetente Ansprechpartner, die über Zuständigkeitsgrenzen hinweg weiterhelfen können.
Ernst gemeinte Nachfrageorientierung bedeutet also, genauer hinzusehen, aus welchem Anlass und mit welchem Bedarf die Bürger an die Verwaltung herantreten. Online-Transaktionen sind sicherlich in vielen Fällen hilfreich und wünschenswert. Es ist aber Zeit, daneben die alte Vision vom One Stop Government mit neuem Leben zu füllen, indem von den rechtlichen Möglichkeiten zur Einrichtung einheitlicher Stellen Gebrauch gemacht wird. Deren Arbeit kann organisatorisch und mit leistungsfähigen Informationssystemen so unterstützt werden, dass Beratungsangebote nicht an Zuständigkeitsgrenzen aufhören müssen. Auch die Beratungssituation selbst lässt sich heute ganz anders gestalten als noch vor einigen Jahren: Tablets sorgen für Mobilität und große, interaktive Monitore in Multi-Touch-Tischen erlauben eine zielorientierte und dabei doch persönliche Interaktion zwischen Beratern und Kunden. Neuer Schwung im One Stop Government kann dafür sorgen, dass mit modernen Organisations- und Technikkonzepten die Probleme, mit denen Menschen an die Verwaltung herantreten, besser gelöst werden.

Dr. Martin Wind ist Geschäftsführer des Instituts für Informationsmanagement Bremen (ifib) und der ifib consult GmbH.




Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Panorama
Wehende Flagge des Landes Schleswig-Holstein vor schwach bewölktem Himmel.

Schleswig-Holstein: Kooperation verlängert

[16.04.2025] Nach fünf erfolgreichen Jahren haben Schleswig-Holstein und der ITV.SH ihre Kooperation zur Verwaltungsdigitalisierung bis Ende 2029 verlängert. Geplant sind unter anderem der Roll-out weiterer digitaler Anträge und Unterstützung für Kommunen bei Informationssicherheits- und IT-Notfällen. mehr...

Darmstadt: Resiliente Krisenkommunikation

[11.04.2025] Großflächige, lang andauernde Stromausfälle sind selten – stellen die Krisenkommunikation jedoch vor Schwierigkeiten, weil Mobilfunk, Internet und Rundfunk ausfallen. In Darmstadt wird nun eine energieautarke digitale Litfaßsäule erprobt, die auch bei Blackouts als Warnmultiplikator funktioniert. mehr...

Gruppenfoto mit Vertreterinnen und Vertretern der Verbandsgemeinden Diez, Kaisersesch, Montabaur und Weißenthurm, die im Prozessmanagement kooperieren.

Diez/Kaisersesch/Montabaur/Weißenthurm: Kooperation im Prozessmanagement

[08.04.2025] Gemeinsam wollen die Verbandsgemeinden Diez, Kaisersesch, Montabaur und Weißenthurm ihre Verwaltungsprozesse effizienter gestalten. Im Fokus steht die Wissensdokumentation ihrer Prozesse. Auch sollen eine Datenbank für Notfallszenarien und ein interkommunales Prozessregister aufgebaut werden. mehr...

Drei ältere Personen sitzen auf einem Sofa und beschäftigen sich mit verschiedenen digitalen Endgeräten.

Hessen: Projekt Di@-Lotsen wächst weiter

[07.04.2025] Das hessische Digitallotsen-Projekt, das älteren Menschen den Zugang zur digitalen Welt erleichtern soll, wird fortgeführt und ausgeweitet. Kommunen, Vereine und andere Einrichtungen können sich bis zum 11. Mai 2025 als digitale Stützpunkte bewerben. mehr...

Logo der Berliner Beihilfe-App auf blauem Hintergrund.

Berlin: Beihilfe ohne Medienbrüche

[04.04.2025] In Berlin haben Beamtinnen und Beamte nicht nur die Möglichkeit, Anträge auf Beihilfe digital zu stellen – mit einer neuen App ist es ab jetzt auch möglich, den Bearbeitungsstand einzusehen und die Bescheide digital zu empfangen. mehr...

Interkommunale Zusammenarbeit: Dritte Förderphase für Digitale Dörfer RLP

[01.04.2025] Das Netzwerk Digitale Dörfer RLP erhält bis 2026 weitere 730.000 Euro Landesförderung. Erfolgreiche Digitalprojekte sollen landesweit ausgerollt und die interkommunale Zusammenarbeit gestärkt werden. Ein Schwerpunkt liegt auf wissenschaftlich unterfütterten Pilotprojekten zum Bürokratieabbau. mehr...

In Bayern soll nach dem Willen von Digitalminister Fabian Mehring der „Digitalisierungsturbo“ gezündet werden.

Bayern: Ein Jahr Zukunftskommission

[31.03.2025] Die Zukunftskommission #Digitales Bayern 5.0 hat ihren aktuellen Bericht vorgelegt. Unter Leitung des Finanz- und Heimatministeriums erarbeiten Ministerien, Kommunalverbände und Experten Lösungen für eine einheitlichere, effizientere und sicherere IT in Bayerns Kommunen. mehr...

Stadtansicht von Bernkastel-Kues, ein altes Fachwerkhaus im Bildzentrum.

Rheinland-Pfalz: Projekt KuLaDig geht in die nächste Runde

[28.03.2025] Die kulturelle Vielfalt in Rheinland-Pfalz systematisch digital erfassen und für die Öffentlichkeit aufbereiten – das will das Projekt KuLaDig. Nun steht fest, welche Kommunen darin unterstützt werden, ihr kulturelles Erbe digital zu erfassen und zugänglich zu machen. mehr...

Open Data ansprechend strukturieren.

Polyteia: Wege für den Datenschutz in der Verwaltung

[27.03.2025] Einer sinnvollen Nutzung kommunaler Daten für die Entscheidungsfindung steht nicht selten der Datenschutz entgegen. Das Projekt ATLAS will zeigen, wie moderne Datenschutztechnologien in der Praxis helfen und echten Mehrwert für den öffentlichen Sektor schaffen. mehr...

Olaf Kuch und Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König stehen vor einer Abholstation für Ausweisdokumente.

Nürnberg: Vier Abholstationen für Ausweisdokumente

[26.03.2025] Die Stadt Nürnberg hat ihr Angebot an Abholstationen für Ausweisdokumente verdoppelt. An insgesamt vier Standorten können die Bürgerinnen und Bürger nun Personalausweise, Reisepässe und eID-Karten unabhängig von den Öffnungszeiten der Bürgerämter abholen. mehr...

Difu-Befragung: Kommunalfinanzen beherrschendes Thema

[25.03.2025] Eine Vorabveröffentlichung aus dem „OB-Barometer 2025“ zeigt, dass kommunale Finanzen das drängendste Thema der Stadtspitzen sind – auch mit Blick auf zukünftige Investitionen. Es sei nötig, dass Kommunen einen beträchtlichen Anteil aus dem Sondervermögen erhielten, so das Difu. mehr...

Berlin: ÖGD wird fit für die Zukunft

[25.03.2025] Mit dem Programm „Digitaler ÖGD“ werden in Berlin Grundlagen für moderne Technologien, Softwarelösungen und schlankere Prozesse in den Einrichtungen des ÖGD geschaffen. Davon können Mitarbeitende wie auch Bürgerinnen und Bürger profitieren. mehr...

Außenansicht des Mainzer Rathauses.

Mainz: Ko-Pionier-Sonderpreis 2025

[24.03.2025] Mit dem Ko-Pionier-Sonderpreis 2025 wurde die Stadt Mainz ausgezeichnet. Dieser Preis würdigt Verwaltungen, die innovative Ansätze aus anderen Städten erfolgreich adaptieren und an ihre spezifischen Rahmenbedingungen anpassen. mehr...

LSI Bayern: Ausschuss für Kommunale Fragen zu Gast

[18.03.2025] Bei einer Sitzung des Innenausschusses im LSI standen die Bedrohungslage im Cyberraum und Schutzmaßnahmen für Bayerns IT im Fokus. LSI-Präsident Geisler stellte die Unterstützungsangebote für Kommunen vor, bevor die Abgeordneten das Lagezentrum und das Labor besichtigten. mehr...

Landrätin Dagmar Schulz und Stabsstellenleiterin Digitalisierung Sabrina Donner mit der Auszeichnung des Silicon Valley Europe

Kreis Lüchow-Dannenberg: Ausgezeichnete Digitalisierungsstrategie

[17.03.2025] Für seine herausragende Digitalisierungsstrategie hat der Landkreis Lüchow-Dannenberg das Qualitätssiegel „Top-Organisation 2025“ des Netzwerks Silicon Valley Europe erhalten. mehr...