One Stop GovernmentNeuen Schwung nehmen
Wer behauptet, die EU-Dienstleistungsrichtlinie (EU-DLR) sei eigentlich gar keine schlechte Sache gewesen, wird in Fachkreisen auf entgeistertes Stirnrunzeln stoßen. Zu hoch waren Erwartungen und Investitionen und zu enttäuschend gestaltet sich bis heute die Nachfrage durch die anvisierte Kundschaft, als dass sich noch jemand gerne mit dem Thema befassen möchte. Doch die verunglückte Umsetzung in Deutschland ist das eine, die hinter der Dienstleistungsrichtlinie stehenden verwaltungsorganisatorischen Ansätze etwas ganz anderes. Ein wesentliches Element der Richtlinie war die Einrichtung der Einheitlichen Ansprechpartner (EA), die gründungswilligen Unternehmern aus den EU-Mitgliedsstaaten die Erledigung von Formalitäten und damit den Zugang zu Märkten erleichtern sollen. Dabei gehört es zu den Skurrilitäten der Umsetzung in Deutschland, dass ernsthaft hinterfragt worden ist, ob die EA auch für inländische Unternehmer tätig werden können.
Silodenken überwinden
Die Idee, Verwaltungskunden mit einer einheitlichen Anlaufstelle die Suche nach zuständigen Ansprechpartnern zu ersparen, fand in Deutschland spätestens in den 1990er-Jahren im Zuge der Einrichtung kommunaler Bürgerbüros weite Verbreitung. Das grundlegende Konzept ist bis heute als One Stop Government bekannt: Gegenüber Bürgern und Unternehmen wird die verwaltungsinterne Arbeitsteilung durch Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle unsichtbar gemacht. Dieser Ansatz fand mit den Konzepten zu elektronischen Bürgerdiensten seine Fortsetzung und ist später auf den telefonischen Kanal ausgeweitet worden, indem Kommunen ihre Telefonzentralen zu leistungsfähigen Call Centern ausgebaut haben.
Doch während Bürgerbüros weitgehend auf das Aufgabenfeld einer einzelnen Kommunalverwaltung beschränkt bleiben, könnten E-Government-Angebote einen konsequent nachfrageorientierten Zugang zu Verwaltungsdiensten bieten – unabhängig davon, wer eine Leistung dann letztlich erbringt. Die Praxis ist jedoch eine andere: Jede Behörde pflegt ihre eigene Internet-Präsenz, sodass Zuständigkeitsgrenzen nicht überwunden, sondern nachgebildet wurden. An dieser Situation haben auch Verwaltungssuchmaschinen, Zuständigkeitsfinder und Landesportale wenig ändern können, zumal diese Dienste in der Bevölkerung weitgehend unbekannt geblieben sind. Wie schwer es ist, das verwaltungstypische Silodenken zu überwinden, zeigt sich auch daran, dass niemand mehr darüber nachzudenken scheint, wie mit dem rechtlichen Konstrukt der einheitlichen Stelle verfahren werden soll. Die Einrichtung solcher Stellen, die zwischen Kunden und sachlich zuständigen Behörden tätig werden können, ist im Zuge der Umsetzung der EU-DLR in die Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern aufgenommen worden. Allerdings macht niemand Gebrauch von diesen neuen Möglichkeiten.
Sind Transaktionen der richtige Weg?
Rückblickend ist festzustellen, dass die Umsetzung der EU-DLR darunter gelitten hat, dass nicht die Einrichtung bedarfsorientierter Anlauf- und Beratungsstellen im Mittelpunkt stand, sondern einmal mehr die Gestaltung von Online-Diensten. Das ist zum Teil sicherlich den Konstruktionsfehlern in der Richtlinie selbst geschuldet. Allerdings haben es Dienstleister und Anbieter technischer Lösungen auch verstanden, einen großen Teil der Aufmerksamkeit und der verfügbaren Mittel für sich zu vereinnahmen. Doch so anhaltend die Verwaltungsseite auch auf technische Lösungen für Online-Transaktionen fixiert ist, so desinteressiert zeigen sich in vielen Fällen die Adressaten. Ausbleibende Nachfrage wird aber mitnichten zum Anlass genommen, den eingeschlagenen Weg zu überdenken. Stattdessen wird versucht, das Angebot zu verbessern oder neue Dienste online zu stellen. Dahinter steht die Überzeugung, dass Transaktionen an sich schon der richtige Weg sind, es dem bestehenden Angebot eben nur an Attraktivität mangelt. Dass den Bürgern mit ganz anderen Varianten technisch unterstützter Verwaltungsdienste womöglich deutlich mehr geholfen wäre, kommt nicht in den Sinn.
Womit Verwaltungskunden wirklich gedient ist
Womit also ist den Verwaltungskunden wirklich gedient? Um diese Frage zu beantworten, hat Gerhard Schwabe, Professor an der Universität Zürich, die Unterscheidung zwischen distanziertem und nahem E-Government eingeführt. Distanziertes E-Government ist die Spielwiese für Transaktionen: Die Bürger haben ein überschaubares und vertrautes Anliegen, das sie möglichst bequem und schnell erledigen möchten. Nähe zur Verwaltung ist nicht erforderlich und vielfach auch nicht gewünscht. Typische Beispiele sind Steuererklärungen, Urkundenbestellungen oder die Reservierung von Wunschkennzeichen. Das nahe E-Government kümmert sich hingegen um komplizierte und dem Bürger in der Regel wenig vertraute Anliegen. Die Geburt eines Kindes, ein plötzlich eintretender familiärer Pflegefall oder eine persönliche Notlage sind Beispiele für Situationen, in denen vor allem eines gefragt ist: qualifizierte Beratung und Unterstützung durch kompetente Ansprechpartner, die über Zuständigkeitsgrenzen hinweg weiterhelfen können.
Ernst gemeinte Nachfrageorientierung bedeutet also, genauer hinzusehen, aus welchem Anlass und mit welchem Bedarf die Bürger an die Verwaltung herantreten. Online-Transaktionen sind sicherlich in vielen Fällen hilfreich und wünschenswert. Es ist aber Zeit, daneben die alte Vision vom One Stop Government mit neuem Leben zu füllen, indem von den rechtlichen Möglichkeiten zur Einrichtung einheitlicher Stellen Gebrauch gemacht wird. Deren Arbeit kann organisatorisch und mit leistungsfähigen Informationssystemen so unterstützt werden, dass Beratungsangebote nicht an Zuständigkeitsgrenzen aufhören müssen. Auch die Beratungssituation selbst lässt sich heute ganz anders gestalten als noch vor einigen Jahren: Tablets sorgen für Mobilität und große, interaktive Monitore in Multi-Touch-Tischen erlauben eine zielorientierte und dabei doch persönliche Interaktion zwischen Beratern und Kunden. Neuer Schwung im One Stop Government kann dafür sorgen, dass mit modernen Organisations- und Technikkonzepten die Probleme, mit denen Menschen an die Verwaltung herantreten, besser gelöst werden.
Dieser Beitrag ist in der November-Ausgabe von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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