InterviewOffenheit hat Priorität
Herr Bönig, die Stadt München verpflichtet sich in ihrer Digitalisierungsstrategie unter anderem zum Prinzip digitale Souveränität. Welche Bedeutung hat das Thema für die Landeshauptstadt?
München hat sich in der Fortschreibung seiner Digitalisierungsstrategie im Jahr 2020 dem strategischen Prinzip der digitalen Souveränität als Ziel und Grundlage für IT-Entscheidungen verpflichtet. Die digitale Souveränität einer Kommune wird dann bedroht, wenn der selbstbestimmte Umgang mit anvertrauten oder erhobenen Daten nicht mehr frei von Eingriffsmöglichkeiten Dritter gewährleistet werden kann oder Monopole und Abhängigkeiten, etwa von Software-Unternehmen, in bestimmten Bereichen jegliche Entscheidungsfreiheit verhindern. Dementsprechend hat digitale Souveränität für die Landeshauptstadt München eine sehr große Bedeutung.
Welche Voraussetzungen müssen für digitale Souveränität geschaffen werden?
Die erwähnten Entscheidungen im Rahmen der Digitalisierung bewegen sich in einem Spannungsfeld, in dem einerseits hohe Unabhängigkeit erkauft werden muss und andererseits Lock-in-Effekte und moderne Bereitstellungsmodelle dafür sorgen, dass Freiheitsgrade eingeschränkt und Eingriffsmöglichkeiten Dritter eröffnet werden könnten. Da wir die digitale Transformation der Stadt ernst nehmen, haben wir die Herstellerunabhängigkeit zunehmend im Blick. Um dem Anspruch der digitalen Souveränität gerecht werden zu können, müssen wir zudem die Organisation über alle Ebenen hinweg entsprechend ausrichten. Das beginnt bei der Digitalisierungsstrategie, setzt sich bei der IT-Strategie fort und reicht bis hin zu konkreten Vorgaben für Entwicklungsprozesse von IT-Lösungen und -Services. So verfolgen wir das Ziel einer Plattformorientierung und verbinden dies mit einem klaren Bekenntnis zum Einsatz offener Schnittstellen und Open-Source-Lösungen – wann immer es strategisch, wirtschaftlich und technologisch sinnvoll ist. Nicht vergessen werden dürfen auch Kooperationen – insbesondere im kommunalen Bereich –, um unsere Position gegenüber Anbietern zu stärken und gemeinsam Lösungen und Kompetenzen zur Sicherung der digitalen Souveränität aufzubauen.
„München setzt überall dort auf Open-Source-Lösungen, wo entsprechende Software verfügbar ist.“
Welche Wege beschreitet die Stadt München konkret, um das Ziel „mehr Open Source“ zu erreichen?
Sowohl die Digitalisierungsstrategie als auch die IT-Strategie geben klare Ziele und Vorgaben hinsichtlich Open Source, welche bei der Entwicklung von IT-Lösungen oder -Services zu berücksichtigen sind. Wir haben den Auftrag des Stadtrats, über die Schaffung eines Open Source Hub die nötigen Kompetenzen für den Einsatz von Lösungen in unserer IT zu stärken. Verfügbare Open-Source-Lösungen müssen wir für unsere Zwecke einsetzbar machen. München verfügt über die erforderlichen Fähigkeiten bereits heute. Aktuell arbeiten wir unter dem Titel „München Portal der Zukunft“ an einem großen Projekt. Ziel ist es, für die Verwaltung der Stadt München eine moderne Präsenz in der digitalen Welt zu schaffen und eine Digitalisierungsplattform zur Verfügung zu stellen, auf der Verwaltungsprozesse benutzerzentriert angeboten werden.
In welchen Bereichen setzt die Stadt bereits Open-Source-Lösungen ein?
Die Stadt München setzt seit Langem überall dort auf Open-Source-Lösungen, wo entsprechende Software verfügbar und in der IT-Welt gut etabliert ist. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt nutzen wir zum Beispiel im Rechenzentrum im Server-Bereich überwiegend Linux-Lösungen. Auch bei den Themen Datenbanken und Webserver setzen wir in vielen Bereichen zu nennenswerten Teilen auf Open Source. Ein wichtiger Schritt war zudem, bei der Definition unserer strategischen Plattform für Software-Eigenentwicklungen vollständig auf Open-Source-Komponenten zu setzen. Auf dieser Basis wurde etwa der öffentlich zugängliche Mietspiegel 2021 umgesetzt.
Welche Vorhaben sind für die Zukunft geplant?
Ein wichtiger Aspekt der jüngeren Open-Source-Priorisierung der Landeshauptstadt ist das Prinzip „Public Money, Public Code“. In diesem Sinne werden alle künftigen Eigenentwicklungen nicht nur auf offenen Standards basieren, sondern wir werden die entstehende Software auch als Open Source zur Verfügung stellen. Als Projekt mit besonderer Bedeutung sei hier noch einmal das „München Portal der Zukunft“ erwähnt. Viele Bürgerinnen und Bürger werden in Zukunft mit der Plattform interagieren, wenn sie auf Services der Stadt zurückgreifen. Auch bei Projekten wie der Ablösung der heutigen Online-Terminvereinbarung durch eine neue Software kommt Open Source zum Einsatz.
Welche Rolle spielt die Open Source Factory (OSF) in der Strategie der Stadt München?
Die Open Source Factory ist ein wichtiger Baustein im Rahmen der Münchner Open-Source-Strategie. Im Munich Urban Colab, das gemeinsam von UnternehmerTUM und Landeshauptstadt gegründet wurde, versuchen wir in dreimonatigen Sprints, Themenstellungen der Stadt in internationalen Teams bearbeiten zu lassen. Diese bauen auf Basis von Open Source Software digitale Prototypen, die München und anderen Kommunen helfen, ihren Weg der Digitalisierung konsequent weiterzugehen. Die Themenfindung findet gemeinsam mit der Politik statt. Zuletzt wurde etwa der Prototyp eines WC-Finders für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen entwickelt. Da das Thema auf breite Akzeptanz stößt und Interesse bei anderen Kommunen besteht, wird weitere drei Monate daran gearbeitet, um die Lösung einerseits für den produktiven Einsatz in der Stadt München zu finalisieren und andererseits auszuloten, inwieweit das Produkt Grundlage für die Gründung eines Start-ups sein kann.
Das IT-Referat beteiligt sich zudem an einer Arbeitsgruppe der Open Source Business Alliance (OSBA) zum Aufbau eines Verzeichnisses für Code der öffentlichen Hand – was steckt hinter diesem Engagement?
Eine zentrale Plattform zum Austausch von Software, die durch öffentliche Mittel finanziert und als Open Source zur Verfügung gestellt wird, ist Dreh- und Angelpunkt, um den Ansatz „Public Money, Public Code“ zu operationalisieren. Auf einer solchen Plattform wird nicht nur die Software selbst ausgetauscht, sondern auch die Zusammenarbeit, zum Beispiel hinsichtlich von Updates, organisiert. Die Stadt München prüft derzeit, auf welcher Plattform wir unsere Entwicklungen veröffentlichen werden. Als langjähriges Mitglied der OSBA arbeiten wir unter anderem an einem Open Source Code Repository mit und sind Teil der Arbeitsgruppe, die das Thema als Handlungsfeld 7 der Verwaltungscloud bearbeitet. Derzeit pilotieren wir die entstehende Plattform mit einer konkreten Eigenentwicklung, die wir dort veröffentlichen wollen. Dabei geht es um ein Plug-in, das die Aufnahme der BayernID in die Open-Source-Lösung Keycloak realisiert – ein zentrales Element, um die digitalen Identitäten der Bürgerinnen und Bürger für Services der Stadt München nutzbar zu machen.
Dieser Beitrag ist im Titel der Ausgabe Februar 2022 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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