Samstag, 9. November 2024

FinanzwesenReform nicht verwässern

[14.03.2019] Der uneinheitliche Verlauf der Doppik führt zu einem Flickenteppich und macht Vergleiche schwierig bis unmöglich. Eine letzte Chance, das kommunale Haushalts- und Rechnungswesen wieder in Einklang zu bringen, bietet die EPSAS-Harmonisierung.
Flickenteppich verhindert Vergleiche im kommunalen Finanzwesen.

Flickenteppich verhindert Vergleiche im kommunalen Finanzwesen.

(Bildquelle: PEAK Agentur für Kommunikation)

Mit starker Orientierung am Handelsrecht der Unternehmen befindet sich das öffentliche Haushalts- und Rechnungswesen seit nunmehr 30 Jahren weltweit im Umbruch. Die Reform betrifft alle föderalen Ebenen, mit dem Ziel, das Staats- und Verwaltungshandeln periodisiert und in Konten strukturiert nachhaltiger abzubilden und besser zu verwalten. In Deutschland hat sich diese Entwicklung vor allem auf der kommunalen Ebene vollzogen und in den Gemeindeordnungen oder Gemeindehaushaltsverordnungen manifestiert. Bundesweit ist die Umstellung auf die Doppik in mehr als 7.000 von 11.500 Kommunen abgeschlossen – entweder gesetzlich verpflichtet oder freiwillig im Rahmen von Optionsregeln. In diesen Gemeinden leben insgesamt rund 62 Millionen Bürger. Ihnen sowie insbesondere der lokalen Politik werden die kaufmännischen Jahresabschlüsse von den Kämmereien (meist online) zur Verfügung gestellt.

Uneinheitlicher Verlauf

Die Entwicklung der kommunalen Doppik ist sehr uneinheitlich verlaufen, da jedes Bundesland für seine Gemeinden eigene Doppik-Gesetzgebungen definiert hat. Eine Entwicklung, die sich bis zum heutigen Tag weiter verschärft und das kommunale Rechnungswesen heterogener und noch weniger vergleichbar macht. So unterscheiden sich die Gliederungs-, Bewertungs- und Haushaltsausgleichsvorschriften begrifflich wie inhaltlich stark. Darüber hinaus hat etwa das Land Nordrhein-Westfalen mit Beginn des Jahres 2019 bestimmte Kommunen von der Pflicht befreit, den Gesamtabschluss (Konzernabschluss) aufzustellen und die damit verbundene Konsolidierung von öffentlichen Unternehmen und der Kernverwaltung zurückgefahren. So werden deutschlandweit regelmäßig diverse neue Vorschriften zu Ansatz, Ausweis und Bewertung von kommunalen Schulden und Vermögen erlassen – ein einziger Flickenteppich, der in der Privatwirtschaft 16 verschiedenen Handelsgesetzbüchern gleich käme, die sich zunehmend voneinander entfernen.

Letzte Chance?

Aus kommunaler Sicht wird für Deutschland die anvisierte europaweite EPSAS-Harmonisierung wahrscheinlich die letzte Chance darstellen, das heterogene Haushalts- und Rechnungswesen wieder in Einklang zu bringen und die Tendenz zur Regionalisierung und Verwässerung der Doppik zu beenden. Andere Impulse und Initiativen sind derzeit jedenfalls nicht erkennbar. In der aktuellen Diskussion betreffen die European Public Sector Accounting Standards zwar nur die Staatsebene, also Bund und Länder, aus ökonomischer Sicht müssten die Kommunen jedoch miterfasst werden. Denn sie sind als Teil des Staatsvermögens aufzufassen und haben sich in der Vergangenheit teils so stark verschuldet, dass die Länder de facto für deren (Alt-)Schulden haften und diese auch teilweise bereitwillig übernommen haben. Auch diese Entwicklung wird sich wahrscheinlich fortsetzen.
Was die Akzeptanz und Nutzung der Doppik anbelangt, so besteht gerade in den Flächenländern wie Nordrhein-Westfalen oder Hessen eine mehr als zehnjährige Anwendungspraxis. Aus einer globalen Perspektive, die diverse wissenschaftliche Untersuchungen wie Kämmererbefragungen oder Fallstudien zusammenfasst, lässt sich festhalten, dass es viele Fälle gibt, in denen Politik und Verwaltung in gewissen Teilbereichen und Situationen sehr intensiv und erfolgreich mit den doppischen Informationen arbeiten und steuern, so etwa in Hamburg. In denen also kaufmännische Daten verstanden und diskutiert sowie zur Haushaltsaufstellung und Rechenschaftslegung als zentrales Element des (langfristigen) kommunalen Finanz-Managements genutzt werden.

Konnten die Ziele erreicht werden?

Doch gerade aufgrund der fortwährenden Einzelmodernisierungen der Doppikgesetze in den Ländern stellt sich die Frage, ob die eigentlich mit der Reform verbundenen Ziele zufriedenstellend erreicht werden konnten. Das betrifft insbesondere den Anspruch an ein Mehr an Transparenz sowie die Fähigkeit der Doppik, die tatsächliche Finanz-, Vermögens-, und Ertragslage einer Gemeinde sowie eine (generationengerechtere) Steuerungsfähigkeit abzubilden. Dass beispielsweise in Zeiten nie dagewesener Steuereinnahmen in der überwiegenden Zahl der Kommunen das Eigenkapital stetig sinkt, zeigt, zu welch hohen Lasten doppischer Aufwand, wie Abschreibungen, Zuführungen zu Pensionsrückstellungen und Sozialkosten, führt. In Nordrhein-Westfalen haben im Jahr 2017 nur 50 von 396 Gemeinden (zwölf Prozent) einen ausgeglichenen Haushalt im Sinne von Aufwand gleich Ertrag erreicht.

Gefahr einer zeremoniellen Nutzung der Doppik

Für die Zukunft besteht daher grundsätzlich die Gefahr, dass sich eine zeremonielle Nutzung der Doppik weiter verbreitet, kaufmännische Abschlüsse also lediglich vorgelegt werden und immer weniger Steuerungswirkung entfalten, deren Jahresergebnisse immer weniger beachtet, beziehungsweise resigniert zur Kenntnis genommen werden. Das ist dann als besonders problematisch zu bewerten, wenn die gesetzlich verankerte Verpflichtung zum doppischen Haushaltsausgleich zwar in den Gemeindeordnungen vorgeschrieben ist, aber nicht mehr erreicht wird. Die Wahrnehmung des Nicht-Könnens des doppischen Haushaltsausgleichs aufgrund von zu hohen Aufwendungen, gepaart mit einem Verwaltungshandeln des Nicht-Wollens, zum Beispiel aufgrund mangelnder politisch-administrativer Bereitschaft zur Haushaltssanierung, Steuererhöhung, Aufgabenkritik, Kosteneinsparung oder Gebietszuschnitten, wird die Akzeptanz der Doppik langfristig und nachhaltig schädigen und sie weiter verwässern lassen.

Sich nicht auf Maßnahmen der Landesebene verlassen

Überhaupt wird das Thema des kommunalen Sanierungsmanagements gerade im Zusammenhang mit doppischen Lagebildern zu wenig berücksichtigt. Denn die Mehrheit der Kommunen ist nicht unverschuldet in ihre heutige Lage gekommen und könnte durch Eigenverantwortung die fiskalische Beschaffenheit ihrer Haushalte auch wieder aktiv erhöhen. Schließlich geht dies aus dem funktionalen Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung hervor. Das bedeutet nicht zuletzt, sich nicht auf die zunehmenden staatlichen Maßnahmen der Landesebene (Schutzschirme und Altschuldenübernahme) zu verlassen und von diesen abhängig zu werden. So sollten Kommunen im Sinne einer nachhaltigen, antizyklischen Haushalts- und Finanzpolitik in guten Haushaltsjahren Überschüsse er­zielen und selbige zur Schuldentilgung und/oder zum Aufbau von Rücklagen verwenden.
Haushalte werden bekanntlich in guten Zeiten ruiniert, sodass die kameralistisch ausgewiesenen Überschüsse – denen derzeit allzu oft doppische Verluste in der Ergebnisrechnung gegenüberstehen – nicht vorhandene Handlungsspielräume suggerieren, politische Begehrlichkeiten wecken oder beispielsweise motivieren, den Stellenplan auszudehnen. Dass derartige Betrachtungen dringend notwendig sind, zeigt erneut ein Blick in die doppischen Jahresabschlüsse. Bei den expliziten Schulden gehen die Fremdkapitalposten der Darlehen und (Kassen-)Kredite mit einmalig niedrigen und teilweise sogar negativen Zinsen einher. Es ist daher von einem erheblichen Zinswechselrisiko auszugehen, insbesondere, wenn Kassenkredite zur Finanzierung langfristiger Aufgaben genutzt werden. Bei der Bewertung der impliziten Schulden, wie etwa Pensionslasten, wird hingegen ein übermäßig hoher Zinsfuß von zum Beispiel fünf Prozent in Gemeinden in Nordrhein-Westfalen angesetzt und damit die Pensionslasten diskontiert. Dies liefert ebenfalls ein Zerrbild, vor allem, da zu diesem Zinssatz derzeit nicht ansatzweise für die Beamten in Fonds vorgesorgt werden könnte.

Risiko-Management-Systeme im Aufbau

Um derartige Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen und zu verstehen, haben einige Kommunen damit begonnen, Risiko-Management-Systeme aufzubauen. In manchen Bundesländern schreibt auch das Haushaltsrecht vor, auf Chancen und Risiken der künftigen Entwicklung einzugehen. Hier besteht ganz offenkundig ein erheblicher Bedarf, Konzepte und Formen einer effizienten und wirksamen (fiskalischen) Risikoberichterstattung für den kommunalen Raum auf Basis der Doppik zu schaffen.

Dr. Dennis Hilgers ist Professor an der Johannes Kepler Universität Linz und leitet dort das Institut für Public und Nonprofit Management.




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