Rhein-Kreis NeussSchneller Cashflow
Das Szenario: Petras Mutter ist 92 und kann sich noch ganz gut helfen. Täglich eine Stunde kümmert sich die 54-jährige Petra um sie. Für den Sommer- und Weihnachtsurlaub weiß die Grevenbroicherin ihre Mutter – pflegebedürftig nach SGB XI mit Pflegegrad 2 – in einer nahen Senioreneinrichtung bestens versorgt. Für die Kurzzeitpflege zahlt Petra für ihre Mutter die vereinbarte Vergütung an die Einrichtung. Der Träger der Einrichtung erhält für die Leistung der Kurzzeitpflege einen Investitionskostenzuschuss. Voraussetzung ist, dass die Einrichtung fristgerecht einen Antrag bei der zuständigen Behörde einreicht.
Die Investitionskosten darf der Heimbetreiber für die Pflegebedürftigen erheben, um seine Ausgaben für die Anschaffung von längerfristigen Gütern – zum Beispiel für das Gebäude oder die Ausstattung – bestreiten zu können. In Nordrhein-Westfalen legen die Landschaftsverbände die Sätze fest. Grundlage ist Paragraph 13 des Alten- und Pflegegesetzes NRW. Da notwendige Investitionen sich zu einem erheblichen Kostenfaktor entwickelt haben, spricht man von einem zweiten Heimentgelt. Investitionskosten fallen nicht nur bei der Kurzzeitpflege an, sondern auch bei anderen teilstationären und ambulanten Pflegeformen, zum Beispiel der ambulanten Versorgung oder Tages- und Nachtpflege. Entsprechend explodiert ist in den vergangenen Jahren die Zahl der Anträge auf Investitionskostenzuschuss bei den zuständigen Ämtern.
Regelung hat bürokratischen Tiger von der Kette gelassen
Fördermaßnahmen wie die von Petra und ihrer pflegebedürftigen Mutter haben sich in Nordrhein-Westfalen und einigen weiteren Bundesländern bewährt. In den Amtsstuben in NRW hat die Regelung einen bürokratischen Tiger von der Kette gelassen. Beim Rhein-Kreis Neuss – um beim oben genannten Beispiel zu bleiben – landen pro Jahr weit über 1.000 Anträge auf Investitionskostenzuschuss auf den Schreibtischen der Sachbearbeiter. Die Kommune ist als Träger der Sozialhilfe zuständig. Es geht um ein Auszahlungsvolumen in Höhe von 1,25 Millionen Euro. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels geht die Kurve nach oben, insbesondere in der Tagespflege. In den Büros in Grevenbroich türmen sich die Akten.
Nun hat sich der Rhein-Kreis Neuss dem Thema digitale Transformation verschrieben. Am Dezernat von Harald Vieten ist eine Stabsstelle Digitalisierung angesiedelt. Dessen Leiter Jürgen Brings hat unter Einbindung eines IT-Unternehmens aus Neuss eine Offensive eingeläutet, die den Posten Investitionskostenzuschuss vom analogen aufs digitale Gleis gesetzt hat. Zusammen mit dem Unternehmen X-NRW ist auf Basis einer Standard-Software eine strategische Lösung entwickelt worden, die die vormals aufwendigen Verwaltungsvorgänge automatisiert.
Zäher Pfad ist zur Datenautobahn geworden
Der zuvor zähe Pfad zwischen Pflegeeinrichtung und Amt ist so zur Datenautobahn geworden. „Binnen kurzer Zeit sind Go und Cashflow gegeben“, beschreibt Jürgen Brings die Vorteile. Die digitale Transformation entlastet nicht nur die Bewilligungsstelle beim Kreis, sondern sorgt auch zwischen Behörde und Pflegeeinrichtung für Lean Administration. „Durch die Digitalisierung und Entbürokratisierung werden die Investitionskosten nicht nur schneller beantragt, es wird auch kein Papier mehr benötigt“, sagt Aileen Wallrafen von Pflegedienst & Tagespflege Billen in Meerbusch. Der Dienst gehört mit zu den ersten, die das vom Rhein-Kreis Neuss aufgebaute und zur Verfügung gestellte Online-Portal nutzen. Die digitale Schnittstelle sei verständlich und übersichtlich aufgebaut.
Anfang des Jahres hatte die Kreisverwaltung die Testphase mit fünf Einrichtungen erfolgreich abgeschlossen. Nach den Sommerferien soll der digitale Bausatz zunächst allen antragstellenden Einrichtungen im Kreisgebiet angeboten werden. Aber auch Pflegeeinrichtungen aus anderen Regionen Nordrhein-Westfalens, die Anträge im Zuständigkeitsbereich des Kreissozialamts stellen, können ihr Interesse am zeitgemäßen Antragsverfahren über die Website des Kreises anmelden. Sobald die Stabsstelle Digitalisierung die notwendigen Benutzer-Accounts eingerichtet hat, können die Pflegeheime auf dem Dashboard sämtliche Daten einsehen, aktualisieren und die Zuschussanträge schnell und einfach stellen. „Wege- und Bearbeitungszeiten eines Antrags haben sich so von mehreren Tagen auf weniger als zehn Minuten verkürzt. Perspektivisch kann damit eine Zwei-Drittel-Stelle anderweitig eingesetzt werden“, sagt Christian Böhme, Abteilungsleiter Alter/Pflege/Senioren beim Rhein-Kreis Neuss.
Schlanke Verfahren einläuten
„Unser Angebot steht, dass Kommunen daraus Nektar saugen und aus unserem Piloten im E-Government schlanke Verfahren im Zuge der digitalen Verwaltung einläuten“, sagt IT-Dezernent Harald Vieten. Landrat Hans-Jürgen Petrauschke freut, dass seine Mannschaft bürgerorientiert arbeitet. „Die Investitionskosten amortisieren sich binnen eines Jahres, wenn alle Pflegeheime den digitalen Weg einschlagen“, berichtet der Behördenleiter. Das jährliche Einsparpotenzial für Personal und Sachkosten liegt nach Einschätzung des Rhein-Kreises Neuss bei rund 50.000 Euro.
Weitere Vorteile liegen auf der Hand. Für die Kommune bringt die Lösung eine gestiegene Qualität der Arbeit, eine höhere Motivation der Mitarbeitenden, mehr Homeoffice und flexibles Arbeiten mit sich, für Pflegeeinrichtungen und mittelbar für Pflegebedürftige und deren Angehörige bedeutet sie weniger Bürokratie, schlanke Abläufe, einen schnelleren Cashflow und einfache Antragswege. Für alle ist es ein transparentes Verfahren mit Zeitersparnis, Entlastung des Steuerzahlers und ökologischer Nachhaltigkeit.
„Zurzeit zieht das Produkt zu unserem Rechenzentrum, damit wir die Anwendung für alle interessierten Einrichtungen öffnen können“, beschreibt der Leiter der Stabsstelle Digitalisierung, Jürgen Brings, an welchen Stellschrauben man zurzeit dreht. „Sobald das erledigt und die Anwendung endgültig freigegeben ist, ist die Heimaufsicht (WTG-Behörde) am Zuge, die noch rund 40 Einrichtungen im Rhein-Kreis Neuss einzubinden.“
In den kommenden Monaten plant die Stabsstelle Digitalisierung beim Rhein-Kreis Neuss, eine Schnittstelle zwischen Kommunalverwaltung und der gängigsten Fachanwendung der Pflegeeinrichtungen einzurichten. „Wir wollen den Aufwand für die antragstellenden Einrichtungen weiter minimieren“, betont Jürgen Brings. Außerdem wird eine Schnittstelle zwischen Antragsplattform und Finanzbuchhaltung geschaffen. „Hierdurch werden die Auszahlungen teilautomatisiert – sprich, das Geld fließt schneller.“
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Oktober 2021 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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