Software-MarktSchwund der Arten

Im Standesamtswesen hat ein Software-Anbieter bereits das Monopol. Das droht auch bei anderen Fachverfahren.
(Bildquelle: gorov/Fotolia.com)
Kommunale IT-Leiter, die eine neue Software für das Einwohnermeldewesen benötigen, hatten noch vor wenigen Jahren die Qual der Wahl. Saskia, mps oder KAI-Gruppe hießen die wichtigsten Hersteller – Unternehmen, auf deren Websites sich Hinweise auf Einwohnermeldewesen-Software entweder nicht mehr finden oder die wie die KAI-Gruppe ihren Anwendern empfehlen, vom eigenen Einwohnermeldeverfahren auf VOIS MESO des Anbieters HSH umzusteigen. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Gewerbeverfahren.
Das drastischste Beispiel: Im Standesamtswesen hat der Verlag für Standesamtswesen mit seiner Software Autista inzwischen das Monopol – was sich aktuell darin niederschlägt, dass er sich mit Änderungen im Rahmen des neuen Ehestandsrechts bislang viel Zeit lässt, so die Beobachtung vieler Nutzer. „Als Monopolist muss er sich nicht darum sorgen, dass die Kunden abwandern. Wohin auch?“, meint Dennis Böttcher, Geschäftsführer der Firma adKOMM Software, nicht ohne Sarkasmus. adKOMM ist einer der wenigen verbliebenen privaten Anbieter, die noch eine breite Palette an Software selbst programmieren.
Monopolisierung verhindert Innovationen
Steigende gesetzliche Anforderungen an Datenermittlung und -schutz machen die Software-Entwicklung inzwischen immer aufwendiger. Hinzu kommen Generationswechsel personeller Art bei den kleinen Herstellern sowie bei der Software selbst. Eine Umstellung auf Web-Technologien, wie sie heute State of the Art sind, erledigt sich nicht mal so nebenbei. Größere Unternehmen wie adKOMM können sich dies noch leisten, kleineren Software-Häusern fehlen dafür schlicht die Ressourcen. So wird die Auswahl im Einwohnerwesen, im Gewerbe- oder Finanzwesen immer kleiner. Für adKOMM-Chef Böttcher keine gesunde Entwicklung: „Ein eingeschränkter Wettbewerb verhindert langfristig Innovation und bedeutet für die Kommunen letztlich Einschränkungen beim Service und das Ausbleiben bedarfsgerechter Angebote.“
Ähnliche Befürchtungen hat Reinhold Harnisch, Geschäftsführer beim Kommunalen Rechenzentrum Minden-Ravensberg/Lippe (krz): „Die Monopol-Position wird zu jetzt schon feststellbaren und sich verschärfenden Preisentwicklungen führen. Die Frage ist, ob es genügend Leidensdruck gibt, dass Kommunen gemeinsam – etwa über ihre IT-Dienstleister – eine Eigenentwicklung starten.“ Eine solche Entwicklung am Markt erwartet Harnisch derzeit jedoch nicht.
Preisdiktat, kein Zwang zur Produktverbesserung mangels Wettbewerb – die Effekte einer Marktmonopolisierung sind in jedem Volkswirtschaftslehrbuch nachzulesen. In der Wirtschaft gibt es dafür Kartellbehörden. Im Kommunalbereich dagegen: Fehlanzeige. Gregor Ermtraud ist Geschäftsführer der Firma EDV Ermtraud und ein Urgestein der kommunalen IT-Szene. Mit seiner Gewerbelösung als Kernprodukt ist er noch verhältnismäßig gut im Geschäft, aber auch er sieht um sich herum die Mitbewerber verschwinden. „Tigris, PC-Klaus, Migewa, das sind heute alles keine selbstständigen Produkte mehr. Dies bedeutet eine starke Konzentration an einer Stelle“, beklagt Ermtraud den Artenschwund.
Integrierte Produktsuiten treffen den Bedarf
Dass Kommunen der gegenwärtigen Konsolidierung eher teilnahmslos gegenüberstehen, mag daran liegen, dass die „Großen“ sie genau dort abholen, wo ihr Bedarf liegt: mit integrierten Produktsuiten für einen fachbereichsübergreifenden Einsatz und nur einem Ansprechpartner für alle softwaretechnischen Fragen. Die HSH Soft- und Hardware Vertriebs GmbH ist so ein Anbieter, in dessen Portfolio in den vergangenen Jahren eine Reihe von Produkten aufgegangen ist. HSH sieht sich aber mitnichten als Raubtier, das den Markt nach Übernahmekandidaten abgrast. „In vielen Fällen sind die Software-Häuser der ersten Stunde einfach nicht mehr bereit oder fähig, den heute notwendigen Entwicklungsaufwand zu betreiben“, konstatiert HSH-Pressesprecher Sven Lahn. „Wir streben kein Monopol an, denn nur Wettbewerb bringt Innovationen hervor.“ Die akquirierten Produkte sollen deshalb auch eigenständig bleiben und weiterentwickelt werden.
Das Berliner Unternehmen definiert sich vielmehr als Plattformanbieter, der mit VOIS eine baukastenförmige Basis bereitstellt, auf der nicht nur eigene Verfahren, sondern auch solche von Wettbewerbern eingebunden werden. Um Administration und Konfiguration müssen sich diese dann nicht mehr kümmern. Das integrierte Konzept soll dem Trend in den Kommunalverwaltungen entgegenkommen, dass die Beschäftigten im Bürgerservice über eine Oberfläche schnell auf unterschiedliche Anwendungen zugreifen können. „Die starren Fachbereiche lösen sich auf und dafür braucht es neue technologische Ansätze“, so Lahn.
Preise noch stabil
Für die Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern (AKDB) ist die Tatsache, dass sie in ihrem Lösungsportfolio als Lizenznehmer über 20 Software-Produkte verschiedener eigenständiger, auch kleinerer Firmen vertreibt, nachgerade der Grund für die inzwischen errungene Position als – laut Eigenaussage – größter Komplettanbieter für Kommunallösungen in Deutschland. „Mit dem Bürgerservice-Portal haben wir eine E-Government-Plattform für Online-Bürgerdienste entwickelt, in dessen offene Systemarchitektur neben unseren eigenen OK.-Verfahren auch Fremdsysteme eingebunden sind, etwa das Bauverfahren von OTS oder eine Formular-Server-Lösung von bol Behörden Online Systemhaus“, wie Andreas Huber aus der AKDB-Unternehmenskommunikation erklärt.
So ist die Gefahr einer Monopolisierung latent, aber unmittelbar bevor steht sie wohl nicht. Deshalb seien auch die Preise relativ stabil, wie Thomas Lagemann von org-team Lagemann beobachtet, einem Spezialisten für Software zur Friedhofsverwaltung. Ohnehin seien Rechenzentren meist nur regional oder bundeslandspezifisch stärker vertreten. Auch für Tino Wagner, Geschäftsführer von mps public solutions, steht fest: Erst wenn die öffentlichen Verwaltungen sich über mehrere Jahre hinweg und bundeslandübergreifend immer wieder für das gleiche Fachverfahren entscheiden, unterschreiten die anderen Marktteilnehmer irgendwann ihren Mindestmarktanteil. Dies führe dann, wie die Historie gezeigt habe, zur Aufgabe des Geschäfts oder zu Verschmelzungen und könne in eine Monopolisierung münden.
Kommunen haben es in der Hand
Nach dieser Logik haben es die Kommunen zum Teil selbst in der Hand, inwieweit sich der Anbietermarkt weiter konsolidiert. Auch die kleinen Software-Hersteller können selbst viel tun, damit nicht einer nach dem anderen verschwindet. „Die Strategie kann nur in einer genauen Marktanalyse und der Entwicklung von Mehrwert-Anwendungen liegen“, rät etwa Reinhold Harnisch. Die Hersteller sollten sich auf Standard-Schnittstellen (XÖV) konzentrieren oder sich auch zusammentun, um strategische Produkte zu entwickeln. „Sonst können sich Klein- und Kleinstlösungen mittel- bis langfristig nicht im heutigen Umfang etablieren“, so der krz-Chef.
Ebenso argumentiert Dieter Rehfeld, Vorsitzender der Geschäftsführung von regio iT: „Die kleinen Software-Häuser sollten sich zusammenschließen oder auf sehr spezielle Nischenprodukte konzentrieren. Gut wäre auch, wenn sich alle Hersteller – ob klein oder groß, privat oder kommunal – strategisch auf ein gemeinsames Stammdaten-Management und Geschäftspartnerkonzept einigen würden. Innovativ könnten dann für die Fachprozesse die Stammdaten gezielt und aufgabenbezogen eingesetzt werden.“ Auf diese Weise würde eine Fach-Software die spezifische Sicht und Verarbeitung ermöglichen. Den Kommunen könnte das sehr viel Geld sparen.
Hätten, könnten, sollten… In der Praxis ist von solchen Übereinkünften indes noch wenig zu sehen. Wenn eine Kommune Geld sparen will, reicht es ihr bislang, sich auf den teilweise ruinösen Preiskampf der Hersteller zu verlassen. Dessen Folge sind geringe Margen – was wiederum dazu führt, dass die finanzielle Basis für dringend erforderliche Neuentwicklungen fehlt. Aber zum Glück ist der rettende Schoß der nächsten Branchengröße nicht weit.
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