Portaleservice-bw setzt Standards
Herr Jaud, das Portal service-bw des Landes Baden-Württemberg wurde im Jahr 2003 in einer ersten Version in Betrieb genommen. Anfang dieses Jahres wurde die Neuimplementierung des Portals abgeschlossen. Welche Ziele wurden mit der Aktualisierung hauptsächlich verfolgt?
Zum einen hatten wir den Anspruch, dass wir allen Bürgern und Unternehmen in Baden-Württemberg den Einstieg in elektronische Verfahren ermöglichen möchten. Dazu wird eine Plattform benötigt, die sich übergreifend einsetzen lässt – die also Standardprozesse bietet, die kommunenspezifisch anpassbar sind, sowie die Möglichkeit, diese Funktionen in kommunale Web-Seiten zu integrieren. Zum anderen ist natürlich ein Portal, das bereits einige Jahre auf dem Buckel hat, technologisch nicht mehr auf dem Stand der Dinge. Schon allein aus diesem Grund war eine Überarbeitung geboten.
Welche Neuerungen wurden im Zuge der Überarbeitung implementiert?
Hier muss man unterscheiden zwischen den Funktionen, die das Portal bietet, und der zugrundeliegenden Technik. Bei den Funktionen haben wir im Zuge der Neuimplementierung zunächst auf dem aufgesetzt, was wir schon im alten System hatten. Das Portal bietet also weiterhin ein breit strukturiertes, nach Lebenslagen orientiertes Informationsangebot, das Verwaltungsleistungen beschreibt, sowie einen Behördenfinder, in dem alle Behörden und Einrichtungen der öffentlichen Hand in Baden-Württemberg verzeichnet sind. Diese sind mit den Leistungen verknüpft. Einen dritten Ast setzen wir funktional neu auf: Das Thema Prozessplattform mit integriertem Formular-Management. Diese ermöglicht es, Prozesse zu modellieren, die dazugehörigen Formulare zu generieren und über service-bw zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus werden wir unter der Dachmarke service-bw künftig weitere Funktionalitäten anbieten. So wird zum Beispiel noch in diesem Jahr ein Datenportal freigeschaltet.
Was hat sich im Hinblick auf die Technologie der Plattform geändert?
Technologisch haben wir es mit einer kompletten Neuentwicklung zu tun. Unser Dienstleister, das Unternehmen Seitenbau aus Konstanz, hat in seinem Angebot ausschließlich auf Open-Source-Komponenten gesetzt. Die Architektur ist geprägt von Microservices auf funktionaler Ebene. Solche Microservices sind zum Beispiel der Zuständigkeitsfinder, die Prozessplattform oder die Funktionen des Servicekontos Baden-Württemberg. Der große Vorteil bei diesem Baukastensystem: Die Microservices lassen sich getrennt skalieren. Zudem haben wir die Datenbankstruktur umgestellt, diese folgt jetzt dem XÖV-Standard zum produkt- und herstellerunabhängigen Datenaustausch von Zuständigkeitsfinderdaten, XZuFi. Die Komponenten innerhalb der Architektur von service-bw kommunizieren untereinander über eine Schnittstellentechnologie.
Welchen Vorteil bietet der Einsatz quelloffener Software und offener Standards?
Wäre im Zuge der Ausschreibung eine proprietäre Lösung klar besser gewesen, hätten wir auch diese genommen. Vorausgesetzt, sie hätte die von uns vorgegebenen Standards erfüllt. Dass der Dienstleister, der letztlich den Zuschlag erhalten hat, einen Open-Source-basierten Ansatz verfolgt, hat für uns aber Vorteile: So können wir nun etwa mit anderen Einrichtungen der öffentlichen Hand Kooperationen eingehen, ohne in Lizenzprobleme zu geraten. Offene Standards sind für uns zudem im Hinblick auf die Anschlussfähigkeit von service-bw wichtig. Eine Rolle wird das beispielsweise bei der Interoperabilität von Servicekonto-Implementierungen im Kontext des avisierten Portalverbunds von Bund und Ländern spielen.
„Wir wollen allen Bürgern und Unternehmen in Baden-Württemberg den Einstieg in elektronische Verfahren ermöglichen.“
Welche weiteren Besonderheiten zeichnen die Plattform service-bw aus?
Wir haben natürlich darauf geachtet, dass das Portal service-bw mit all seinen Funktionen durch mobile Endgeräte unmittelbar nutzbar ist, also das Prinzip Mobile First verfolgt. Mit unserer Lösung, die im Responsive Design gestaltet wurde, lassen sich somit auch komplexe Formulare auf dem Smartphone ausfüllen. Darüber hinaus haben wir auf Barrierearmut geachtet und vorgegeben, dass service-bw die Vorgaben der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) in der neuesten Fassung 2.0 erfüllt.
Welche neuen Funktionalitäten bietet das überarbeitete Portal?
Wir haben innerhalb kurzer Zeit ein Portal, das über viele Jahre gewachsen ist, durch eine Neuentwicklung ersetzt. Beim Thema neue Funktionen gehen wir daher schrittweise vor. Was wir bereits umgesetzt haben: Die Kommunen können jetzt nicht mehr nur Content, sondern auch Funktionalitäten in ihre eigenen Portale einbinden und diese damit deutlich aufwerten. Künftig wird es somit möglich, dass ein Bürger auf dem Portal seiner Heimatgemeinde ein von service-bw bereitgestelltes Formular aufruft, seine Antragsdaten eingibt und dann einen Prozess auf der kommunalen Website startet, der im Hintergrund von service-bw abläuft. service-bw erzeugt dann Ausgabemedien, über welche die Antragsdaten an die zuständige Stelle transportiert werden. Ein solches Ausgabemedium kann auch ein PDF sein, das eine Kommune, die im Hintergrund kein Fachverfahren einsetzt, ausdrucken und papierbasiert weiterverarbeiten kann. Das Entscheidende ist aber, dass der Bürger seinen Antrag elektronisch stellen kann. Nicht ganz so trivial ist es, wenn es sich bei dem Ausgabemedium um eine Schnittstelle zur Übergabe der Daten ins kommunale Fachverfahren handelt. Momentan arbeiten wir zum Beispiel mit der Datenzentrale Baden-Württemberg (DZBW) und dem Kommunalen DV-Verbund am Thema Online-Führerschein und haben dazu ein Pilotprojekt mit dem Ortenaukreis gestartet. Die Fachverfahrensintegration stellt dabei eine echte Herausforderung dar. Denn die Fachverfahrenswelt ist alles andere als homogen: Es gibt viele Anbieter, die für die verschiedenen, von ihnen entwickelten Fachverfahren nicht immer die gleiche Schnittstelle verwenden, also interne Schnittstellenstandards einhalten. Über service-bw versuchen wir zwar, ein Stück weit Standardisierung zu erreichen, man kann hier aber keine schnellen Erfolge erwarten.
Ein neuer Baustein von service-bw ist das personalisierte Servicekonto. Wie ist dieses aufgebaut?
Das Servicekonto ist für uns ein sehr wichtiger Baustein im E-Government. Es erfüllt verschiedene Funktionen. Unter anderem stellt es die Identität eines Antragstellers oder einer Einrichtung in einem elektronischen Prozess sicher, fungiert also als eID. Bestandteil des Servicekontos ist zudem ein Postfach, denn die Nachrichten, die aus Antragsprozessen entstehen, müssen auf sicherem Weg zum Antragsteller gelangen. Der Besitzer des Servicekontos greift über eine verschlüsselte Verbindung auf das Postfach zu. Wenn dort Nachrichten vorliegen, wird automatisch eine E-Mail an den Betreffenden generiert. Man muss also nicht ständig sein Servicekonto prüfen, sondern wird darauf aufmerksam gemacht, wenn neue Meldungen vorliegen. Dritter Bestandteil des Servicekontos ist der Dokumentensafe. Dort kann der Besitzer seine Dokumente hochsicher ablegen und dann aus dem Safe heraus in weitere Antragsprozesse hochladen. Wichtig: Jeder Bürger, jedes Unternehmen in Baden-Württemberg kann sich ein Servicekonto einrichten und damit alle relevanten Verfahren nutzen, egal, ob es sich um Verfahren des Landes oder der Kommunen handelt, ob diese auf service-bw laufen oder außerhalb.
Welche Möglichkeiten bietet das Servicekonto für Kommunen?
Hierzu ein Beispiel: Die Stadt Stuttgart bietet einen Kita-Finder und möchte diesen erweitern, um künftig die Online-Anmeldung für einen Kitaplatz zu ermöglichen. Hierfür werden Servicekonto-Funktionen wie die elektronische Identifizierung benötigt. Wir sind gerade dabei, den Kita-Finder mit dem Servicekonto Baden-Württemberg zu verknüpfen, sodass man sich in Zukunft darüber im Kita-Finder identifizieren kann. Die Stadt Stuttgart muss also keine eigene Servicekonto-Lösung implementieren.
Um eine vollständig digitale Abwicklung von Behördengängen zu ermöglichen, ist vielfach die Verwendung der eID des neuen Personalausweises erforderlich. Viele Bürger schalten diese jedoch nicht frei. Was kann getan werden, um für eine größere Verbreitung zu sorgen?
Nach meiner Kenntnis lassen in Deutschland nur 30 bis 40 Prozent der Bürger die Online-Ausweisfunktion freischalten. Wir haben in Baden-Württemberg bislang auch nicht viel Marketing dafür gemacht, denn: Gibt es keine Anwendungen, ergibt es keinen Sinn, Werbung zu machen. Wir versuchen jetzt aber, über die neue Prozessplattform entsprechende Anwendungen zu installieren. Darunter durchaus solche, die ein hohes Vertrauens-niveau erfordern, wie etwa den Führerscheinantrag. Dies werden wir dann auch entsprechend bewerben. Es müssen aber alle Akteure zusammenarbeiten, um die eID zu etablieren. Gerade die Kommunen haben hier großen Einfluss: Sie müssten etwa ihre Bürgerbüros so ausrichten, dass diese offensiv für eine Freischaltung der Online-Ausweisfunktion werben. Auch der Gesetzgeber ist gefordert: So steht demnächst eine Überarbeitung des Personalausweisgesetzes bevor und wir würden es begrüßen, wenn die Online-Ausweisfunktion im Zuge dessen standardmäßig freigeschaltet wird.
Gibt es Vorbilder für service-bw oder setzt Baden-Württemberg mit dem Portal die Maßstäbe, an denen sich andere orientieren?
Ob wir Maßstäbe setzen, kann ich nicht beurteilen. Aber wir sind davon überzeugt, eine sehr gute, moderne Lösung gebaut zu haben, und wissen, dass service-bw im Bund und in den Ländern viel Beachtung findet. Wir selbst haben uns stark am österreichischen Portal Help.gv.at orientiert, als wir vor ungefähr 16 Jahren das Projekt service-bw aus der Taufe gehoben haben. Auf nationaler Ebene haben wir ehrlich gesagt keine Vorbilder. Die Lösung, wie wir sie nun entwickelt haben, ist durchaus das Ergebnis eigener Überlegungen und Erfahrungen. Innovativ sind wir unter anderem beim Thema Releasemanagement: Wir entwickeln komplett agil, alle zwei Wochen kommt ein neues Release. Die Release-Wechsel können wir praktisch unterbrechungsfrei durchführen, mehrstündige Wartungsfenster kommen also nicht mehr vor, wenn wir eine neue Version aufspielen.
Wie lässt sich die Neuimplementierung von service-bw in das Großprojekt IT-Neuordnung der baden-württembergischen Landesverwaltung einordnen?
Ein wesentlicher Punkt der IT-Neuordnung ist das Thema Standardisierung. In der Ausschreibung zur Neuimplementierung von service-bw haben wir von vornherein gefordert, dass die neue Architektur als Referenzplattform für vergleichbare Web-Anwendungen unserer Ressorts dienen soll. Wir erwarten also, dass die Basistechnologie von service-bw – die Microservices und Entwicklungsvorgaben – künftig zum Standard werden für alle weiteren Web-Anwendungen, die aufseiten des Landes entstehen. Zudem wird die Architektur von service-bw Gegenstand der Überlegungen des Expertenkreises für die IT-Transformation der Landesverwaltung sein, den der Beauftragte der Landesregierung für Informationstechnologie, Stefan Krebs, gerade einrichtet. Dieser wird die Aufgabe haben, etwa im Bereich Software-Entwicklungsumgebungen Vorgaben und Standards für das Land Baden-Württemberg zu entwickeln.
Das Portal service-bw und somit auch das Servicekonto sollen permanent weiterentwickelt und an aktuelle Bedürfnisse angepasst werden.
Welche Neuerungen sind als nächstes geplant?
Neben dem Datenportal gibt es ein weiteres relativ konkretes Projekt zum Thema Virtueller Bauantrag, das wir gerade mit der Metropolregion Rhein-Neckar planen. Entstehen soll eine Plattform, über die die Baurechtsbehörde auch alle Beteiligungsverfahren rund um den Prozess des Bauantrags abwickeln kann. Das Konzept dazu ist in Arbeit, ein erster Entwurf liegt auf dem Tisch. Im Ergebnis wird das dazu führen, dass wir weitere Microservices für service-bw entwickeln müssen. Zum Beispiel eine Plattform, auf der wir Daten halten und Zugriffsrechte auf einzelne Dokumente sehr spezifisch zuordnen können. Dieser neue Microservice kann dann wiederum auch in anderen Kontexten verwendet werden. In Überlegung ist zudem die Entwicklung eines einheitlichen Stellenportals des Landes Baden-Württemberg mit der Möglichkeit, sich online zu bewerben, und einem dahinter liegenden Bewerber-Management. Großes Interesse haben wir darüber hinaus daran, sehr bald das Servicekonto für Unternehmen einzurichten und die Dienste auf service-bw interoperabel zu denen anderer Bundesländer und EU-Mitgliedstaaten zu gestalten. Der Freistaat Bayern hat hier vor Kurzem den Prototyp einer Schnittstelle fertiggestellt; in einem nächsten Schritt wollen wir daran andocken und das Thema interoperabler Prozesse über service-bw mit diesem Prototyp testen.
Dieser Beitrag ist in der November-Ausgabe von Kommune21 im Schwerpunkt Portale erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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