Dienstag, 26. November 2024

EttelnSmarter als Hongkong

[26.11.2024] Dass auch kleinste Gemeinden im Digitalisierungswettbewerb mit Weltmetropolen mithalten können, hat Etteln bewiesen. Bei einem internationalen Smart-City-Wettbewerb belegte der Ortsteil einer nordrhein-westfälischen Gemeinde den ersten Platz, Hongkong wurde Zweiter. Ehrenamtliche Helfer, Vereine und Organisationen haben diesen Erfolg ermöglicht.
v.l.: Ulrich Ahle, Christine Wegner, Daniel Sieveke und Uwe Gockel halten gemeinsam eine Urkunde.

Der Borchener Ortsteil Etteln hat den internationalen Smart-City-Wettbewerb des Institute of Electrical and Electronics Engineers gewonnen.

v.l.: Ulrich Ahle, Ortsvorsteher in Etteln; Christine Wegner, Projektleiterin Digitaler Dorf-Zwilling Etteln; Daniel Sieveke, Staatssekretär im Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen und Beauftragter der Landesregierung für Informationstechnik (CIO); Uwe Gockel, Bürgermeister Borchen

(Bildquelle: Gemeinde Borchen)

Etteln, ein Ortsteil der Gemeinde Borchen in Nordrhein-Westfalen, macht derzeit Schlagzeilen. Der Ort mit gut 1.800 Einwohnern hat beim weltweiten Smart-City-Wettbewerb des Berufsverbandes IEEE (Institute of Electrical and Electronics Engineers) den ersten Preis gewonnen. Den zweiten Platz belegt Hongkong. Der digitale Wandel in Etteln habe vor gut zehn Jahren begonnen, berichtet Ortsvorsteher Ulrich Ahle anlässlich der Auszeichnung. Damals wollte niemand nach Etteln ziehen, der Grundschulstandort war gefährdet. Um ihn zu erhalten, gründete sich der Verein Etteln-aktiv. Die Grundschule ist geblieben, der Verein auch. Er sei heute ein Träger der gesellschaftlichen und digitalen Entwicklung im Ort. „Was uns jetzt fehlt, sind neue Bauplätze“, sagt Ahle.

In den Jahren 2013 bis 2015 koordiniert Etteln-aktiv die so genannte Anschwing-Initiative mit Dorfwerkstätten, in denen die Stärken und Schwächen des Ortes herausgearbeitet wurden. Die Schwächen wurden dann in mehreren Arbeitsgruppen bearbeitet, bevor im Jahr 2017 das Integrierte Kommunale Entwicklungskonzept (IKEK) für die gesamte Gemeinde Borchen erarbeitet wurde. Der Ortsteil Etteln habe dabei auf die Ergebnisse der Anschwing-Initiative aufbauen und eine Reihe von Projektideen entwickeln können, berichtet Ahle – einige davon unter Einbeziehung digitaler Technologien. Im Rahmen des Zukunftsforums „Digitalisierung auf dem Lande“ konnte Ende 2018 die Förderzusage über das LEADER-Programm der EU für die Anschaffung eines E-Dorfautos und die Realisierung einer Dorf-App verkündet werden. Das E-Dorfauto ettCAR ist internetfähig, kann über eine App gebucht und geöffnet werden und steht den Bürgern kostenlos zur Verfügung.

Ehrenamtlich zur Glasfaser

2018 sei aber auch deutlich geworden, dass vor der Realisierung weiterer digitaler Anwendungen die digitale Infrastruktur ausgebaut werden muss, beschreibt der Ettelner Ortsvorsteher die weitere Entwicklung. Gemeinsam mit dem Unternehmen Deutsche Glasfaser entschied sich Borchen, die einzelnen Ortsteile der Gemeinde mit Glasfaseranschlüssen bis ins Haus zu versorgen. Da die Deutsche Glasfaser den Ausbau eigenwirtschaftlich durchführte, wurden nur die Haushalte mit einem direkten Glasfaseranschluss versorgt, bei denen es sich wirtschaftlich lohnte. Dadurch gingen im Ortsteil Etteln rund 50 Hauseigentümer und landwirtschaftliche Betriebe leer aus.

Im Jahr 2017 startete der Kreis Paderborn ein Projekt, um diese weißen Flecken mit einer 90-prozentigen Förderung von Bund und Land zu schließen. Die Gemeinde Borchen habe sich als einzige Kommune im Kreis dem Projekt nicht angeschlossen. Somit blieben auch die Häuser im Außenbereich von Etteln unversorgt. Daraufhin verlegte die Dorfgemeinschaft kurzerhand in ehrenamtlicher Arbeit selbst 30 Kilometer Glasfaser bis zur letzten Milchkanne. Auf dieser Basis konnte dann die digitale Dorf-App aufgebaut werden. Auch dieses Projekt wurde über die LEADER-Region gefördert. Nach zwei Jahren nutzte laut Ahle bereits die Hälfte der Ettelner Bevölkerung diesen digitalen Dorfplatz, der 2023 auch auf die anderen Borchener Ortsteile ausgeweitet wird.

Digitaler Dorfzwilling

Anfang 2022 wurde die Digitalisierungsstrategie Digitaler Dorf Zwilling 2030 von einem Redaktionsteam mit allen Vereins- und Organisationsvorsitzenden aus Etteln erarbeitet. Im Juni 2022 wurde sie durch den Rat der Gemeinde Borchen verabschiedet. Auf Basis dieser Strategie konnten neben dem LEADER-Projekt sechs weitere Förderprojekte auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene eingeworben werden, berichtet der Ortsvorsteher. Kernstück des Projektportfolios sei der Digitale Dorf Zwilling Etteln (DiDoZ). Ein Konsortium aus sieben Partnern, zu dem neben der Gemeinde Borchen auch das Ettelner Unternehmen solutiT und der Verein Etteln-aktiv gehören, konnte in Berlin einen Förderbescheid über 1,3 Millionen Euro von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir entgegennehmen.

Im Rahmen des Projekts sei eine zentrale Digitalisierungsplattform installiert worden, welche die Firma Hypertegrity entwickelt hat. Darüber hinaus sei eine Vielzahl von Sensoren zur Messung von Grundwasserständen, Flusspegeln, Niederschlagsmengen, Bodenfeuchte und weiteren Klimadaten verbaut worden. Zur Übertragung dieser Messwerte an die Digitalisierungsplattform wurde ein Funknetz (LoRaWAN) in Etteln errichtet. Mithilfe von Drohnen, die mit Spezialkameras und Radarsensoren ausgestattet sind, wurde zudem ein dreidimensionales digitales Abbild des Dorfes erstellt. Dieser Digitale Zwilling ist mit der digitalen Plattform verbunden, sodass die Sensorwerte aus der realen Welt im Digitalen Zwilling dargestellt werden können, erklärt Ortsvorsteher Ahle. Der Digitale Zwilling könne auch Baumaßnahmen simulieren und werde für die Realisierung eines Hochwasserfrühwarnsystems genutzt. 2024 soll die intelligente Weihnachtsbeleuchtung erstmals die Kirchstraße in Etteln erhellen. Auch sie kann über die digitale Plattform gesteuert werden.

Die Sensordaten und viele weitere Informationen – seien es Veranstaltungshinweise oder Wanderrouten – sind über digitale Anzeigen bei der Kirche, der Gemeindehalle und dem Sportplatz für alle Bürger und Gäste zugänglich.

Zielgruppengerechte Digitalisierungsprojekte

Und Etteln hat noch mehr vor. Im Bereich der öffentlichen Gefahrenabwehr soll künftig eine autonom fliegende Drohne die Freiwillige Feuerwehr unterstützen. Ausgelöst von der Kreisleitstelle fliegt sie zum Einsatzort und gibt den Feuerwehrleuten schon auf der Anfahrt einen Überblick über das, was sie erwartet. Darüber hinaus wurde je ein Projekt explizit für Schülerinnen und Schüler sowie für ältere Menschen entwickelt.

Die Morgenmacher Campus Party bindet laut Ahle Jugendliche in die Gestaltung der digitalen Zukunft des Dorfes und der gesamten Gemeinde ein. Um die Digitalisierung begreifbar zu machen, sei ein Lego-Modell des Dorfes gebaut worden, das nun Schüler des Technikkurses der Sekundarschule Borchen mit Technik ausstatten. Für die anderen Ortsteile Borchens werde im Folgenden jeweils ein eigenes Modell umgesetzt. Die einzelnen Ortsteilmodelle lassen sich zur Gemeinde Borchen zusammenfügen.

Der Senioren Computer Club wiederum erleichtere älteren Menschen den Zugang zur Nutzung digitaler Medien. Dieses Angebot soll durch einen Mobilen Digitalen Assistenzkoffer erweitert werden. Ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen sollen damit direkt in ihrem Lebensumfeld digitale Produkte kennenlernen, die den Alltag erleichtern. Vorgestellt werde der Assistenzkoffer von den Digitalpaten Borchen. Die Finanzierung der Modelle und des mobilen digitalen Assistenzkoffers erfolgt über Fördermittel für Kleinprojekte des Südlichen Paderborner Landes.

Nachhaltig konzipiert

Etteln punktet aber nicht nur als Digital-, sondern auch als Energiedorf. Mittlerweile wird das 34-fache des eigenen Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien erzeugt, berichtet Ortsvorsteher Ulrich Ahle. Ein zentraler digitaler Batteriespeicher speichere tagsüber die Energie aus den umliegenden privaten Solaranlagen und speise sie auf 20.000 Volt zurück, um das Stromnetz zu stabilisieren, wenn die Sonne nicht scheint. WestfalenWIND Strom biete für Etteln einen eigenen Stromtarif an, der immer 30 Prozent unter dem Grundversorgertarif liegt. Gemeinsam mit der Fraunhofer-Gesellschaft und den Unternehmen Westfalen Weser sowie WestfalenWIND Strom ist Etteln außerdem Teil eines Testfeldes zum Aufbau des Dateninstituts der Bundesregierung. Dieser Use Case Energie unter der Leitung der Deutschen Energie-Agentur (dena) widmet sich der digitalen Vernetzung und Datenbereitstellung für die Energiewende. Konkret geht es um die Erzeugungs- und Verbrauchsdaten beispielsweise von Photovoltaikanlagen, Wärmepumpen und Elektroautos, die für eine intelligente Steuerung des Energiesystems durch die verschiedenen Akteure benötigt werden. 

Alle Ettelner Projekte sind laut Ahle außerdem so konzipiert, dass sie nach ihrer Realisierung nachhaltig betrieben werden können. Die Ergebnisse und Erfahrungen werden in Form von Dokumentationen, Vorträgen und Referenzbesuchen mit Digitalisierungsexperten aus nah und fern geteilt.





Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Smart City
Wiesbaden_zwei Frauen auf Solarbank

Wiesbaden: Smarte Sitzbänke

[26.11.2024] Nachhaltige Energie trifft auf smarte Stadtmöbel: In Wiesbaden wurden jetzt auf dem Dern’schen Gelände zwei Solarbänke errichtet. Diese gehen auf die Idee der Jugendkonferenz zurück. mehr...

Ein Straufahrzeug, von hinten zu sehen, fährt auf einer Straße, daneben eine schneebedeckte Landschaft.

Germering: Smarter Winterdienst

[22.11.2024] Mit IoT-Sensoren und einem neuen Softwaremodul hat sich die Stadt Germering für den kommenden Winterdienst gerüstet. Die Lösung unterstützt bei der Routenplanung und Einteilung der Einsatzkräfte. Auch liefert sie Echtzeitdaten über den Straßenzustand und den Füllstand in den Salzsilos der Einsatzfahrzeuge. mehr...

Virtuelles Abbild eines Stadtzentrums, ein Baum ist im Vordergrund des Bildes zu sehen.
bericht

Kreis Hof: Stadtplanung erleben

[21.11.2024] Im Rahmen seines Modellprojekts Smart City erprobt der Landkreis Hof auch den Einsatz von Virtual-Reality-Anwendungen. Entwickelt wird unter anderem eine VR-Simulation zur Stadtplanung; zudem soll virtuelle Realität im Digitalen Zwilling zum Einsatz kommen.  mehr...

Screenshot der Veranstaltungswebsite zur 18. Regionalkonferenz, der im Header das Fridericianum in Kassel zeigt.

18. Regionalkonferenz: Barrieren abbauen in der Smart City

[18.11.2024] Um digitale Angebote, die Menschen mit Behinderungen das Leben erleichtern, geht es bei der 18. Regionalkonferenz der Modellprojekte Smart Cities am 5. Dezember in Kassel. Eingeladen sind Kommunen, die sich zum Thema informieren oder Erfahrungen austauschen möchten. mehr...

Blick von schräg oben auf den Lübecker Holstentorplatz und Umgebung, im Zentrum das backsteinerne Holstentor mit Kupferdach.

Lübeck: Neue Ära der Mobilität

[15.11.2024] Das nun startende Förderprojekt VIAA (Lübecks Verkehrsmanagement ,intelligent, analytisch und agil) soll es ermöglichen, den städtischen Verkehr datenbasiert, effizient und umweltfreundlich zu steuern. Ein Verkehrsrechnersystem sowie Sensornetz und Datenmanagement zählen zu den Herzstücken. mehr...

Gruppenbild mit 27 Männern und Frauen

Augsburg: Digitalrat startet in zweite Amtszeit

[14.11.2024] Der Digitalrat der Stadt Augsburg geht in seine zweite Amtszeit. Als wichtigste Aufgabe hat sich der Beirat die Fortschreibung der „Bürger Experience“ auf die Fahnen geschrieben. mehr...

Ahaus: Auszeichnung als smarte Kommune

[12.11.2024] Die Stadt Ahaus ist jetzt im Wettbewerb Digitale Orte 2024 als smarte Kommune geehrt worden. Die Auszeichnung würdigt das umfangreiche digitale Angebot der Stadt, das den ländlichen Raum zukunftsfähig gestalten soll. mehr...

Holzminden: Einführung eines LoRaWAN

[11.11.2024] Die Stadt Holzminden führt jetzt ein flächendeckendes LoRaWAN ein. Es soll eine effiziente und wartungsarme Datenerfassung über große Entfernungen ermöglichen und ist für Bürgerinnen und Bürger kostenfrei nutzbar. mehr...

Studie: Kooperationen für Smart Cities

[07.11.2024] Mit Kooperationen zur Umsetzung von Smart-City-Projekten befasst sich eine jetzt veröffentlichte Studie. Im Fokus stehen die Vor- und Nachteile von unterschiedlichen Kooperationsmodellen sowie deren Praxistauglichkeit. mehr...

Ein Mann bewässert mit einem Gartenschlauch einen Straßenbaum

Hannover: KI für die Pflege von Grünflächen

[31.10.2024] Mit dem Projekt „BlueGreenCity-KI“ bewirbt sich die Stadt Hannover um Fördermittel des Bundesumweltministeriums zum Thema „KI-Leuchttürme für den Natürlichen Klimaschutz“. Im Rahmen des Projekts soll ein KI-Tool für eine nachhaltige Bewässerung, Pflege und Verwaltung der städtischen grünen Infrastruktur entwickelt werden. mehr...

Thermometer steckt im Schnee und zeigt Minusgrade.

Neckarsulm: Bauhof startet intelligenten Winterdienst

[30.10.2024] Der Bauhof der Stadt Neckarsulm plant, mit einer vernetzten Funktechnologie den Winterdienst und die Bewässerung künftig effizienter zu gestalten. Ein neues LoRaWAN soll Wetter- und Bodenfeuchtedaten erheben und so gezielte Einsätze ermöglichen, um Material und Personal ressourcenschonend einzusetzen. mehr...

Thermometer vor blauem Hintergrund zeigt fast 40 Grad Außentemperatur

Ismaning: Reallabor zur Hitzewarnung

[30.10.2024] In einem gemeinsamen Projekt haben die Firma msg und die Gemeinde Ismaning ein Smart-City-Reallabor eingerichtet, in dem digitale Technologien zur Klimavorsorge getestet werden. Ein erster Schritt ist die Erstellung einer Hitzekarte. mehr...

Bogenlampe (Straßenlaterne) aus der Untersicht gegen bewölkten Himmel fotografiert, neben dem Leuchtkörper sind zwei kleine Kästchen montiert.

Fulda: Straßenbeleuchtung sammelt Daten

[29.10.2024] Die Stadt Fulda nutzt ihre Straßenbeleuchtung, um vielfältige Daten zum Verkehrsfluss und zur Parkplatzbelegung zu erheben. Perspektivisch sollen auf dieser Basis gezielte Klimaschutzanpassungen erfolgen, auch die Entwicklung eines Parkleitsystems ist denkbar. mehr...

Duisburg: Masterplan für die Digitalisierung

[29.10.2024] In Duisburg sind bereits zahlreiche Dienstleistungen der Stadt online verfügbar. Ab Januar soll die MeinDuisburgApp um einen Mängelmelder erweitert werden. Zudem arbeitet die Stadt an der Fortsetzung ihres Masterplans Digitales Duisburg. mehr...