Digitale ZwillingeStadtentwicklung trotz Fachkräftemangel
Digitale Zwillinge erleichtern nicht nur komplexe Planungs- und Entscheidungsprozesse, sondern können auch bei konkreten Bauprojekten Unterstützung bieten.
Aktive Baustelle in Utrecht (Niederlande). Reality-Capture-Daten der Stadt wurden mit dem BIM-Modell des Architekturbüros kombiniert. Der Baufortschritt kann anhand der Planungs- und Entwurfsdaten geprüft werden.
(Bildquelle: ESRI)
Wohl die meisten Menschen wünschen sich qualitativ hochwertige Lebensräume, in denen es bezahlbaren Wohnraum und eine gute Infrastruktur mit Bildungs-, Kultur- und Freizeitangeboten gibt. Doch die Realität sieht vielerorts anders aus: Eine Studie des interdisziplinär forschenden Eduard Pestel Instituts und des Bauforschungsinstituts ARGE hat ergeben, dass aktuell deutschlandweit über 700.000 Wohnungen fehlen – das größte Wohnungsdefizit seit 20 Jahren. Diesen Mangel auszugleichen, ist alles andere als leicht. Die benötigten Rohstoffe sind knapp und kostspielig, darüber hinaus fehlt es in der Planung wie im Bau an Fachkräften. Deren Expertise ist aber essenziell, um die Lebensqualität in Städten und Gemeinden dauerhaft sicherzustellen – auch dann, wenn die Auswirkungen des voranschreitenden Klimawandels in neuen Risiken wie etwa Hitzewellen oder Überschwemmungen resultieren.
Städteplaner, Behörden und Bauunternehmen stehen deshalb vor der gemeinsamen Aufgabe, Lösungen zu finden, die zu den anstehenden Veränderungen passen und die Lebensqualität vor Ort erhalten. Um informiert zu entscheiden und effizient zu handeln, sind intelligente Technologien nicht mehr wegzudenken. Einer dieser smarten Ansätze sind digitale Zwillinge – virtuelle Dubletten der realen Welt, mit der sich physische Objekte wie Bäume oder unterirdische Leitungen ebenso abbilden lassen wie Prozesse, Wechselbeziehungen oder Verhaltensweisen. Solche auf Geo-Informationssystemen basierenden digitalen Zwillinge kommen bereits in vielen Städten zum Einsatz.
Komplexe Daten in Beziehung setzen
Alle wichtigen Faktoren wie Bodenbeschaffenheit, Versorgungsleitungen, Materialien und Wetter in einen gemeinsamen Kontext zu setzen und damit zu planen, ist unabdingbar, wenn sich Städte für die Zukunft rüsten wollen. Solche Faktoren entscheiden nicht nur maßgeblich darüber, ob Nachbarschaften bezahlbar sind, sondern spielen auch im Klimawandel eine wichtige Rolle. Das Umweltbundesamt geht beispielsweise davon aus, dass sich in Küstennähe die Anzahl extremer Niederschläge bereits im Jahr 2040 verdoppelt haben wird. Auch steigende Temperaturen werden zunehmend zum Problem, wenn versiegelte Oberflächen die Hitze über Nacht speichern und Wärmeinseln entstehen.
Mithilfe eines Digitale Zwillings lässt sich simulieren, wie sich solche Wetterextreme auf Städte und Gemeinden auswirken. Risikobereiche werden erkennbar und es ist möglich, Gegenmaßnahmen zu planen. Grünflächen spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie wirken zum einen wie ein großer Schwamm, der Regen aufnimmt. Zum anderen helfen sie nachweislich dabei, die Umgebung abzukühlen.
Fachkräftemangel bremst Zukunftsentwicklung
Das Gute: Immer mehr Städte und Gemeinden investieren in Smart-City-Projekte, deren Ziel darin besteht, urbane Räume nachhaltiger, effizienter und sozial inklusiver zu gestalten. Seit 2019 beteiligt sich auch der Bund an dieser Entwicklung und will Fördermittel in Höhe von insgesamt 750 Millionen Euro bereitstellen, um deutsche Städte moderner und widerstandsfähiger zu gestalten. Doch wie in vielen Branchen könnte auch hier der Fachkräftemangel die hohen Ambitionen zum Scheitern bringen: Beispielsweise sind im Bauamt der Stadt Hannover aktuell fast 20 Prozent der Stellen unbesetzt. Auch auf den Baustellen spitzt sich der Mangel immer weiter zu. Bis 2035 könnten hier bis zu 250.000 Arbeitskräfte fehlen, wie eine Berechnung des Instituts der deutschen Wirtschaft ergibt. Die verfügbaren Fachkräfte sind demnach schon jetzt völlig überlastet. Ihnen bleibt neben ihren täglichen Aufgaben kaum Zeit, sich Kenntnisse für den Umgang mit modernen Technologien anzueignen.
Dass der Lebenswert von Städten sinkt, weil Städteplanerinnen und -planer, Bauunternehmen und Behörden den aktuellen Herausforderungen aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels nicht gewachsen sind, ist nicht hinnehmbar. Stattdessen sollten alle wichtigen Informationsebenen so dargestellt werden, dass sie auch von technisch weniger versierten Planungsverantwortlichen nachvollzogen werden können.
Digitale Zwillinge verkürzen Entscheidungsprozesse
Genau hier setzen fotorealistische digitale Zwillinge an. Drohnen, Flugzeuge und Satelliten sammeln Bilddaten, die automatisiert zu wirklichkeitsgetreuen Abbildern von Baustellen, Wohnvierteln oder ganzen Städten berechnet werden. Zusammen mit weiteren Daten wie Katastervermessungen, Versorgungsnetzen, Gebäudeinformationsmodellen und Echtzeit-Sensordaten werden die Bilder zu vollwertigen und vor allem leicht verständlichen digitalen Abbildern der Stadt.
#bild2 Für diejenigen, die an der Gestaltung unserer Städte und Gemeinden beteiligt sind, bedeutet eine solche Technologie, dass sie weniger Transferleistung erbringen müssen. Durch die fotorealistische Darstellung können Daten aus allen Fachbereichen in eine räumliche Beziehung gebracht werden. Kombiniert mit weiteren Datenquellen lassen sich vergangene Szenarien analysieren und die potenziellen Auswirkungen auf die Zukunft bestimmen. So bleibt nichts im Verborgenen, was für die Städte der Zukunft eine Rolle spielt. Gleichzeitig haben die beteiligten Fachkräfte mehr Zeit, die tatsächliche Umsetzung voranzutreiben, anstatt sich an technischen Details aufzuhalten, für die ihnen mitunter Kenntnisse fehlen.
Fotorealistische digitale Zwillinge sind ein gutes Beispiel dafür, wie komplexe Prozesse technologiegestützt effizienter, verständlicher und zugänglicher gestaltet werden können. Insbesondere bei der Stadtplanung müssen unterschiedlichste Dimensionen und Daten miteinander in Beziehung gebracht werden. Manuell ist das nahezu unmöglich, selbst für erfahrenes Fachpersonal. Mithilfe digitaler Zwillinge können Projekte so modelliert und umgesetzt werden, dass alle Beteiligten über denselben Wissensstand verfügen – und deshalb an einem Strang ziehen können, wenn es um die Zukunft lebenswerter Städte geht.
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