Donnerstag, 9. Januar 2025

Frankfurt am MainUpdate für die Demokratie

[15.09.2022] Die Stadt Frankfurt am Main will mehr Bürgerbeteiligung wagen und plant strukturierte Beteiligungsverfahren. Ein Gespräch mit Eileen O’Sullivan, Digitalisierungs- und Teilhabe-Dezernentin in Frankfurt, und Ralf Sagroll, Leiter der Stabsstelle Digitalisierung.
Eileen O’Sullivan und Ralf Sagroll

Eileen O’Sullivan und Ralf Sagroll

(Bildquelle: Stadt Frankfurt am Main)

Frau O’Sullivan, Herr Sagroll, in Zeiten von Social Media stellt sich für Kommunen die Frage nach Partizipation und Bürgerbeteiligung neu. Wie ist die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in Frankfurt am Main organisiert?

O’Sullivan: Im Rahmen eines Bürgerhaushalts ist die heutige Ideenplattform Frankfurt-fragt-mich (ffm.de) entstanden. Dort kann man Ideen und Vorschläge platzieren und benötigt 200 Unterstützer, damit die Angelegenheit beim Magistrat landet und dieser Stellung beziehen kann. Auf ffm.de gibt es einen Mängelmelder, Umfragen zur Stadtentwicklung und offene Themenforen. Wichtig wäre aber eine systematische, strukturierte Bürgerbeteiligung, die auch institutionell in den Prozessen der Stadtverwaltung verankert ist. Einige Städte wie etwa Mannheim haben das bereits. Bei uns ist das noch ausbaufähig. Mein Eindruck ist, dass sehr wenige Leute überhaupt von den bestehenden Beteiligungsformaten wissen.

Auf welchem Weg erreichen Sie die Frankfurter Bürger?

Sagroll: Früher hatte die Stadt Frankfurt eine eigene Zeitung, die Frankfurter Stadt-Illus, die an alle Haushalte verteilt wurde. Darin gab es Einladungen zum Tag der offenen Tür und Informationen über Neuigkeiten aus der Verwaltung. Das gibt es schon lange nicht mehr. Zur Corona-Zeit sind einmal Impfinformationen an alle Haushalte verteilt worden. Ansonsten hat die Verwaltung keine Möglichkeiten, die Bürgerinnen und Bürger sowie die Pendler gezielt zu informieren.

O’Sullivan: Wir versuchen natürlich, die Bürger über klassische Medien in Form von Pressemitteilungen und Interviews zu erreichen. Außerdem ist Frankfurt auf Facebook, Twitter und Insta­gram vertreten. Wenn eine Stadt in den sozialen Medien attraktiv auftritt, interaktiv und zeitgemäß kommuniziert, dann erhält sie auch Feedback. Das zeigen unsere Nutzerzahlen. Man erreicht aber nie alle Bürger.

Wie sieht ein strukturierter Beteiligungsprozess aus?

O’Sullivan: Frankfurt hat schon 2019, also lange vor meiner Zeit, von den Stadtverordneten den Auftrag bekommen, einen Leitlinienprozess durchzuführen, um die Bürgerbeteiligung systematisch in die Verwaltung zu bringen. Der Prozess ist ins Stocken geraten und wir wollen nun einen neuen Anlauf nehmen. Mithilfe unterschiedlicher Formate wollen wir herausfinden, wie wir die Bürger am besten erreichen und wo der Diskurs vielversprechend ist. Es sollen digitale Workshop-Formate erprobt werden, aber auch Präsenzveranstaltungen wie etwa ein Bürgerforum. Hier reicht ein Blick nach Köln, wo die Bürgerbeteiligung bereits in die Entscheidungsprozesse einfließt. Dort hat die Stadtverordnetenversammlung ein Büro, das sich die Beschlussvorlagen ansieht und überlegt, wie Bürgerinnen und Bürger beteiligt werden sollten. Wenn sich zum Beispiel das Grünflächenamt ein neues Fahrzeug kauft, werden die Bürger natürlich nicht einbezogen. Wenn man aber ein neues Parkraumkonzept einführen will, dann können die Stadtverordneten der Verwaltung sagen: Wir möchten, dass die Bevölkerung in Form eines Bürgerrats beteiligt wird.

„Beteiligung muss zu Ergebnissen führen. Entscheidend ist, das Feedback der Menschen später auch zu berücksichtigen.“
Welche Beteiligungsverfahren haben in Frankfurt schon stattgefunden?

Sagroll: Im Rahmen der Smart-City-Strategie wollten wir die Bürgerinnen und Bürger von Anfang an einbinden. Das ist zunächst über eine Online-Umfrage geschehen, später durch Einladung interessierter Bürger zu Workshops und Round Tables. Doch trotz aller Aktivitäten ist es uns lediglich gelungen, eine begrenzte Zahl an Menschen zu aktivieren. Das liegt nicht an der Bereitschaft der Leute, sondern an mangelnder Reichweite. Gleichzeitig muss Beteiligung auch zu Ergebnissen führen. Beim Bürgerhaushalt ist das zum Beispiel kolossal schief gegangen. Da wurden 95 Prozent der Vorschläge abgelehnt. Wenn die Menschen so eine Quote sehen, werden sie sich beim nächsten Mal nicht mehr beteiligen.

O’Sullivan: Im Smart-City-Bereich ist es besonders wichtig, ein Ohr an der Bevölkerung zu haben und Beteiligungsformate zu entwickeln. In einer Stadt wie Frankfurt am Main mit so vielen Lebensrealitäten geht es für die Verwaltung bei Beteiligung immer auch darum, selbst neue Perspektiven und Ideen zu bekommen. Entscheidend ist, das Feedback der Menschen später auch zu berücksichtigen und transparent zu machen, was damit passiert. Die Bürger müssen sich ernst genommen fühlen, damit sie den Institutionen vertrauen. Ich finde, unsere Demokratie verdient ein Update.

Welche Beteiligungsverfahren waren besonders erfolgreich?

O’Sullivan: Grundsätzlich gibt es Themen, bei denen sich eine Bürgerbeteiligung anbietet. Die Verkehrswende ist beispielsweise ein sensibles Thema – da muss man in den Austausch gehen. Das macht hier in Frankfurt das Mobilitätsdezernat mit dem Masterplan Mobilität. Ebenso wichtig ist der Austausch beim Thema Umwelt. Wir hatten im vergangenen Jahr etwa einen Demokratiekonvent, der von Bürgern veranstaltet und umgesetzt wurde, nicht von der Stadt. Mithilfe von Experten und einer repräsentativen Anzahl an Bürgern wurden über mehrere Wochenenden zehn Forderungen zum Thema Klima ausgearbeitet. Das war ein großer Erfolg. Gut einbinden lassen sich die Menschen auch bei Fragen zur Gestaltung des direkten Lebensumfelds.

Sagroll: Bei uns in der Stabsstelle Digitalisierung war das Smart-City-Forum am erfolgreichsten. Wir haben zusammen mit Experten sowie Bürgern in verschiedenen Workshops Ideen gesammelt. Wesentliches Ergebnis: Die Smart-City-Strategie enthält heute Projekte, die von den Stakeholdern priorisiert wurden und nicht von der Stabsstelle. Beispielsweise beim Projekt „Häuser heizen mit Daten“. Die Idee kam von einem Bürger, der sich intensiv mit dem skandinavischen Raum beschäftigt hatte, wo man mit der Abwärmenutzung von Rechenzentren mehr Erfahrungen hat. Das war für Frankfurt zwar nicht völlig neu, der Impuls des Bürgers war aber das i-Tüpfelchen, und nun bemüht man sich konsequenter darum.

Ist Beteiligung immer positiv zu betrachten oder kann sie auch ein Hemmschuh sein?

O’Sullivan: Ich finde eine stärkere Bürgerbeteiligung schon deshalb gut, weil man dann die Politik nötigt, ihre Entscheidungen besser zu erklären. Besonders dann, wenn sie sich für einen anderen Weg entscheidet, als den, der empfohlen wurde.

Sagroll: Wenn es Lobbyismus aus der Wirtschaft gibt, warum soll es keinen Lobbyismus der Bürgerinnen und Bürger geben? Die Bertelsmann Stiftung hat das mal untersucht und für die Ergänzung der parlamentarischen Demokratie durch solche direkten Wege insgesamt einen Nutzen festgestellt.

Interview: Helmut Merschmann




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