InterviewUrbanität wird neu definiert
Herr Berg, der Branchenverband Bitkom hat 2019 erstmals einen Smart City Index veröffentlicht (wir berichteten). Was wollen Sie mit dem Vergleich erreichen?
Städte sind besonders spannende Reallabore für die Digitalisierung. An kaum einem anderen Ort können digitale Technologien so konzentriert und für viele Menschen anschaulich und erlebbar werden. Allerdings hatte Deutschland in diesem Bereich lange Nachholbedarf. Zu der Frage, wie smart und digital die deutschen Städte sind, gibt es eine Vielzahl an Publikationen und Veranstaltungen. Was bislang fehlte, war eine systematische Untersuchung, welche Städte bereits welche Lösungen aus den verschiedenen Themenfeldern der Smart City umgesetzt haben. Das leistet der Smart City Index, mit dem wir unter allen 81 deutschen Großstädten Vorreiter und Nachzügler identifiziert haben. Dort, wo aktuell Lethargie herrscht, wollen wir wachrütteln. Die unzähligen Reaktionen auf unsere Veröffentlichung haben gezeigt, dass wir einen Nerv getroffen haben.
Wo liegen im Vergleich die Stärken und Schwächen der Städte?
Die Ergebnisse zeigen ein sehr vielfältiges Bild der deutschen Smart-City-Landschaft. Die Spreizung ist enorm. Hamburg als Spitzenreiter erreicht 79,5 von 100 möglichen Punkten, am anderen Ende steht Salzgitter mit 20,5 Punkten. Auch in den fünf untersuchten Einzelkategorien zeigt sich, dass die Städte teilweise ein sehr eigenständiges Smart-City-Profil entwickelt haben. So liegt etwa das insgesamt auf Platz 20 platzierte Mannheim in der Verwaltung vor Berlin und Bonn an der Spitze. Bei IT und Kommunikation führt Köln vor Hamburg und München. In Energie und Umwelt geht der Spitzenplatz an Hamburg gefolgt von Darmstadt und Heidelberg, bei Mobilität liegt Karlsruhe in Führung. Die Kategorie Gesellschaft führt wiederum Hamburg an, gefolgt von Wuppertal und Frankfurt am Main. Sie sehen, dass Hamburg insgesamt zu Recht ganz oben steht – und dass dahinter der eine oder andere Hidden Champion lauert.
Der Smart City Index untersucht alle deutschen Städte ab 100.000 Einwohnern. Wie sieht es in kleineren Kommunen aus?
Metropolen wie Hamburg, Berlin oder München haben zweifelsohne einen strukturellen Vorteil. Allein durch ihre Größe können diese Städte eine Vielzahl an Projekten anstoßen, was ein gutes Abschneiden begünstigt. Mittlere und kleinere Städte müssen sehr viel mehr Kraft aufbringen, um etwa in Förderwettbewerben des Bundes und der Länder erfolgreich zu sein. Aber das ist keinesfalls unmöglich. Heidelberg und Darmstadt haben es in die Top Ten geschafft. Auch Potsdam, Kiel oder Ulm schneiden angesichts ihrer Einwohnerzahl beeindruckend gut ab. Da wir ausschließlich Städte mit mindestens 100.000 Einwohnern untersucht haben, gibt es für Mittel- und Kleinstädte kein umfassendes Bild. Jedoch finden sich auch dort herausragende Digitalisierungsinitiativen, wie im hessischen Bad Hersfeld, im bayerischen Coburg oder im nordrhein-westfälischen Lemgo.
„Langfristig sollten alle 11.000 deutschen Kommunen in Deutschland bei der Digitalisierung gefördert werden.“
Gewinner ist die reiche Stadt Hamburg. Ist es eine Frage der finanziellen Möglichkeiten oder des politischen Willens, ob eine Stadt den Weg zur Smart City einschlägt?
Bei einem flüchtigen Blick auf die Ergebnisse könnte man zu dem Schluss kommen, dass es allein ums Geld geht. Aber das würde zu kurz greifen. Finanzkraft allein macht noch keine Smart City. Und auch mit wenigen Mitteln kann viel erreicht werden. Sonst hätten wohlhabende Städte wie Koblenz, Reutlingen oder Erlangen besser abschneiden müssen. Und umgekehrt dürfte Mannheim mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung im reichen Baden-Württemberg kaum bundesweit Spitze bei der digitalen Verwaltung sein. Der politische Wille vor Ort ist also mindestens genauso wichtig.
Was ist aus Ihrer Sicht die Basis für eine Smart City, womit sollte eine Stadt egal welcher Größenordnung beginnen?
Zuallererst sollten Digitalisierungsprozesse zentral organisiert und die dafür notwendigen Strukturen geschaffen werden, etwa durch das Einrichten von Abteilungen, Stabsstellen oder Arbeitsgruppen. Letztlich ist entscheidend, dass klar ist, wer Verantwortung hat. Eng damit verbunden sind die öffentliche Kommunikation und Beteiligung. Die Bürgerinnen und Bürger müssen einbezogen werden – angefangen damit, sich den notwendigen Rückhalt in der Stadtgesellschaft zu sichern, konkrete Maßnahmen demokratisch zu legitimieren und den Technologie- und Kulturwandel in der eigenen Verwaltung aktiv zu managen. Schließlich braucht es auch ein strategisches Vorgehen, etwa indem eine Digitalstrategie entwickelt, formuliert und umgesetzt wird.
Viele Smart-City-Vorhaben werden von Bund oder Ländern gefördert. Ist das der richtige Weg für eine flächendeckende Verbreitung oder führt das zu einzelnen Leuchtturm-Projekten?
Wettbewerbe, Förderprojekte und Netzwerke können eine wichtige Initialzündung für Smart-City-Initiativen sein, wie der Wettbewerb Digitale Stadt von Bitkom und Deutschem Städte- und Gemeindebund oder die jährliche Smart Country Convention. Es gibt zahlreiche Förderprogramme, etwa der Europäischen Union, des Bundes, der Bundesländer sowie teilweise auch der Kommunen. Diese komplexe Situation führt dazu, dass sich viele Kommunen auf mehrere Förderprogramme gleichzeitig bewerben, was kleinere und vor allem finanzschwache Gemeinden strukturell benachteiligt.
Was können Bund und Länder, aber auch die IT-Wirtschaft noch tun, um die Kommunen auf dem Weg in die digitale Zukunft zu unterstützen?
Langfristig sollten alle 11.000 deutschen Kommunen, insbesondere auch in ländlichen Regionen, bei der Digitalisierung gefördert werden, und nicht mehr nur größere Städte. Dafür sollte ein Kompetenzzentrum Digitale Städte und Regionen unter Federführung des Bundes und unter enger Einbindung der kommunalen Spitzenverbände und der Digitalwirtschaft eingerichtet werden, um einen effizienten Know-how-Transfer zu ermöglichen und allen Kommunen praktische Unterstützung anbieten zu können. Darüber hinaus müssen vom Bund zusätzliche Fördermittel in Höhe von mindestens 500 Millionen Euro pro Jahr für kommunale Digitalisierungsinitiativen bereitgestellt werden. Gut wäre, wenn die Länder das entsprechend kofinanzieren würden. Die Wirtschaft ist gefordert, bestehende Smart-City-Lösungen besser zugänglich zu machen und die immensen Potenziale aufzuzeigen, die damit für die Kommunen verbunden sind.
Ein Blick nach vorn: Wie ist ihre Vision der vernetzten Stadt der Zukunft?
In der digitalen, intelligent vernetzten Stadt wird Urbanität neu definiert. Smart Cities stehen für eine bessere Zukunft des Lebens und Arbeitens auf engem Raum – digital, effizient, ökologisch und sozial. Lange Wartezeiten auf dem Amt oder beim Arzt, Staus und Verkehrsunfälle, Lärm und Abgase gehören der Vergangenheit an, wenn die einmaligen Möglichkeiten digitaler Technologien ausgeschöpft würden. Die Digitalisierung ist die Grundlage für Erhalt und Steigerung unserer wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, der Lebensqualität von Jung und Alt sowie der Leistungsfähigkeit unseres Staats – insbesondere von Kommunen.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe März 2020 von Kommune21 im Schwerpunkt Smart City erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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