Kreis GießenVergabe ohne Papier
Der Beschäftigung mit der elektronischen Vergabe gingen in der Kreisverwaltung Gießen organisatorische Entscheidungen voraus. Im Juni 2009 wurde die Durchführung der förmlichen und nicht förmlichen Vergabeverfahren oberhalb gewisser Wertgrenzen dem neu gegründeten Zentralen Vergabemanagement (ZVM) übertragen. Dadurch sollten die Kompetenzen an einer Stelle gebündelt und somit die dezentralen Beschaffungsstellen entlastet werden. Die Organisationseinheit hat sich von Anfang an auch mit der elektronischen Vergabe befasst. „Dies geschah vor dem Hintergrund des E-Government-Plans der EU“, erklärt ZVM-Leiterin Eva Eckhardt. „Zugleich sahen wir in der Einführung elektronischer Prozesse große Potenziale, um Zeit, Arbeit und Geld zu sparen und nebenbei auch noch Rechtssicherheit zu gewinnen.“
Auf der Suche nach einer passenden Lösung
Das Zentrale Vergabemanagement sprach zunächst mit verschiedenen Anbietern von E-Vergabe-Lösungen, um sich ein Bild über bestehende Optionen zu machen. Klar war bereits zu Beginn, dass die Möglichkeit der elektronischen Angebotsabgabe geschaffen werden soll. Weniger Klarheit herrschte bei der Frage, ob zusätzlich zur Nutzung einer externen Vergabeplattform auch die internen Prozesse in einem elektronischen System abgebildet werden sollten. „Wir haben das Für und Wider elektronischer Akten immer wieder abgewogen und diskutiert. Es herrschte eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf die Sicherheit der Daten, die Möglichkeiten des jederzeitigen Zugriffs und nicht zuletzt auch hinsichtlich der IT-Kompetenz, die diejenigen Mitarbeiter mitbringen müssen, die tagtäglich mit dem System arbeiten“, erläutert Eckhardt die Hintergründe. Am Ende überwogen die zu erwartenden Einsparungen von personellen und sachlichen Ressourcen sowie einer der kritischsten Faktoren: die Zeit. Elektronische Prozesse, so war man in der Kreisverwaltung überzeugt, laufen in der Regel schneller ab, sind rechtssicher und verbessern den Schutz vor möglichen Manipulationen der Verfahren.
Nach einer Ausschreibung der benötigten Dienstleistungen erhielt die Firma cosinex Ende 2011 den Zuschlag. Seither nutzt der Kreis deren Vergabemanagementsystem (VMS) und den Marktplatz „Deutsches Vergabeportal“ (DTVP). Das VMS hat die Papierakte mittlerweile komplett ersetzt. Das System bildet den Vergabeprozess von der Anlage der Akte bis zur Zuschlagserteilung vollständig elektronisch ab und ermöglicht dabei auch differenzierte Genehmigungsprozesse. Sämtliche Dokumente, wie die Vergabeunterlagen und die Kommunikation mit Bietern oder unter den Fachabteilungen, werden im System abgelegt. Jeder angeschlossene Computer-Arbeitsplatz hat darauf im Rahmen der Rollen und Rechte des betreffenden Nutzers jederzeit Zugriff.
Start nach erfolgreichen Tests
Die Einführung gelang gut und in großen Teilen schneller als erwartet. Nach einer Testphase fielen ab Mai 2012 die Papierakten als maßgebliche Dokumentation der Vergabeverfahren weg. „Wir müssen allerdings zugeben, dass wir anfangs immer noch eine Menge Unterlagen in begleitende Papierakten geheftet haben – das hundertprozentige Vertrauen in das System fehlte noch“, erinnert sich Hannes Nette, zuständig für Bauvergaben im ZVM. Je länger das VMS aber genutzt wurde, desto dünner wurden die Akten. „Wir sparen sehr viel Zeit ein, die wir für die gesamte Verwaltung rund um die Vergabeunterlagen und die Papierakte hätten aufwenden müssen. Druck- und Papierkosten entfallen“, erklärt Nette.
Das Vergabemanagementsystem ist an das DTVP angeschlossen, über das alle vom ZVM durchgeführten Vergabeverfahren des Landkreises Gießen abgewickelt werden. Dies gilt – bis auf wenige Ausnahmen für relativ formlose Preisanfragen – für alle Verfahrensarten, von der freihändigen Vergabe bis hin zu komplexen VOF-Verfahren. Begonnen hat der Kreis aber auch hier mit einer schrittweisen Einführung: Um Sicherheit im Umgang mit dem System zu gewinnen, wurden die Abgabe und Bearbeitung elektronischer Angebote zunächst ausgeklammert. Das kostenlose Herunterladen der Vergabeunterlagen über den Marktplatz war allerdings von Beginn an möglich. „Hier haben wir anfangs Anreize geschaffen, indem wir den Download kostenlos, den Versand der Unterlagen in Papierform jedoch kostenpflichtig gestaltet haben“, erinnert sich ZVM-Leiterin Eva Eckhardt. Die Unternehmen haben binnen kürzester Zeit den Download der Unterlagen vorgezogen, wobei hier nicht der Kosten-, sondern vor allem der Zeitfaktor ausschlaggebend war. Als Konsequenz bietet der Landkreis die Unterlagen nunmehr ausschließlich zum Herunterladen an. „Besondere Probleme oder Beschwerden seitens der Unternehmen hat es dabei nicht gegeben“, ergänzt Hannes Nette.
Bisherige Erfahrungen
Der Einführung der elektronischen Angebotsabgabe als letzten Schritt im Prozess gingen Gespräche mit den Interessenträgern der lokalen Wirtschaft, insbesondere IHK und Kreishandwerkerschaft, voraus. „Für uns war es wichtig, alle potenziellen Interessenten frühzeitig einzubeziehen. Die Akzeptanz seitens der Bieter ist letztlich der ausschlaggebende Erfolgsfaktor für die E-Vergabe“, macht Kämmerer und erster Kreisbeigeordneter Dirk Oßwald deutlich. So gibt es auch ein ständiges Angebot an die Unternehmerschaft, bei Unsicherheiten im Umgang mit der Technik Schulungen und Informationsveranstaltungen durchzuführen. Seit April dieses Jahres steht es Bietern nun offen, ihre Angebote elektronisch abzugeben. Erfahrungswerte fehlen noch. „Wir sind aber optimistisch, dass sich die E-Vergabe aufgrund ihrer vielen Vorteile für alle Beteiligten schnell durchsetzen wird“, zeigt sich Oßwald als zuständiger Dezernent zuversichtlich.
Ein wesentlicher Kritikpunkt im Arbeitsalltag mit den cosinex-Systemen ist die fehlende Schnittstelle des VMS zur Hessischen Ausschreibungsdatenbank (HAD). Die Kommunikation mit der Auftragsberatungsstelle als Betreiberin der Datenbank und dem Land Hessen gestaltet sich aus Sicht des Kreises überraschend schwierig und langwierig. „Nachdem die cosinex GmbH mehrfach an die Auftragsberatungsstelle und das Land herangetreten ist, hätten wir uns eine schnellere Lösung erhofft“, erklärt Eva Eckhardt. Derzeit wird weiter an dem Problem gearbeitet. Abgesehen davon sind die Erfahrungen mit der E-Vergabe aber überwiegend positiv. Mittlerweile wurden – mit und ohne elektronische Angebotsabgabe – mehr als 200 Verfahren mittels VMS und DTVP durchgeführt. „Insgesamt sind wir mit den Systemen zufrieden. Natürlich ist eine standardisierte E-Vergabe-Lösung, wie wir sie nutzen, kein Maßanzug. Aber das System arbeitet zuverlässig, und die Erleichterungen durch die elektronischen Prozesse wiegen auf, dass wir mitunter unseren Workflow an das System anpassen müssen“, fasst Eckhardt die bisherigen Erfahrungen des Landkreises zusammen.
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