Donnerstag, 5. Dezember 2024

Lebenslage KindVon Österreich lernen

[29.04.2016] Um medienbruchfreie Verwaltungsservices zu schaffen, müssen Nachweispflichten soweit wie möglich abgeschafft werden. Wie dies aussehen kann, zeigt ein Vergleich mit dem Nachbarland Österreich am Beispiel der Lebenslage „Geburt eines Kindes“.
Österreich: Entspannter in die Elternzeit.

Österreich: Entspannter in die Elternzeit.

(Bildquelle: MEV Verlag/PEAK Agentur für Kommunikation)

Eltern in Österreich haben es gut: Seit Mai 2015 müssen sie nicht mehr zum Amt gehen und keine Formulare ausfüllen, wenn sie die so genannte Familienbeihilfe beantragen. Es müssen auch keine Nachweise mehr erbracht, also keine Geburtsurkunden vorgelegt werden. Die Daten des neugeborenen Kindes werden durch das Standesamt erfasst und im Personenstandsregister gespeichert, anschließend werden sie vom Österreichischen Bundesministerium für Inneres an die Finanzverwaltung übermittelt. Diese prüft, ob alle Voraussetzungen und Informationen für die Gewährung und Auszahlung der Familienbeihilfe vorliegen. Die Eltern erhalten schließlich von der Finanzverwaltung ein Informationsschreiben, das sie über den Familienbeihilfeanspruch für ihr Kind informiert. Zeitgleich mit diesem Schreiben wird der Familienbeihilfebetrag auf ihr Konto überwiesen. In Deutschland gestaltet sich die Lebenslage „ein Kind wird geboren“ aus Sicht der Eltern und der Verwaltung bekanntlich deutlich anders. Man braucht schon viel Papier und starke Nerven, um im Behördendschungel nicht den Überblick zu verlieren: Die Anmeldung der Geburt erfolgt beim Standesamt unter Vorlage diverser Dokumente wie etwa Geburtsurkunden beider Eltern, deren Heiratsurkunde sowie Personalausweise. Bei unverheirateten Eltern sind diverse weitere Nachweise erforderlich, außerdem unterliegt der gesamte Prozess der Schriftform. Bei der Beantragung von Kindergeld müssen die Eltern Angaben machen zu Name, Anschrift, Geburtsdatum, Familienstand, Kontodaten, Steuer-ID des Kindes, Geburtsurkunde des Kindes, Angaben zum Ehepartner und/oder Vater des Kindes. Immerhin: Die Beantragung von Kindergeld bei der Familienkasse ist elektronisch unter Verwendung der eID des Personalausweises möglich.

Behördendschungel Deutschland

Die Beantragung von Elterngeld schließlich erfolgt bei der zuständigen Elterngeldstelle. Hier müssen wiederum Angaben zu persönlichen Daten wie Name, Anschrift, Geburtsdatum sowie zur Krankenversicherung und Kontoverbindung gemacht werden. Erforderliche Nachweise sind die Geburtsbescheinigung – aber nicht irgendeine, sondern diejenige mit dem Verwendungszweck „Für die Elterngeldstelle“ –, Personalausweise und Einkommensnachweise der Eltern, eine Bescheinigung der Krankenkasse über bezogenes Mutterschaftsgeld, Angaben zu Bezugszeiträumen und Erwerbstätigkeit der Eltern und so weiter. Für die Beantragung von Elterngeld sind außerdem bestimmte Formulare zu verwenden, der Antrag ist schriftformgebunden und bedarf der Unterschrift beider Eltern, auch wenn nur einer von ihnen das Elterngeld bezieht. Angesichts des österreichischen Beispiels kann man bei dieser deutschen Vorgehensweise schon ins Grübeln kommen und sich fragen, wie es in Deutschland gelingen kann, sinnvolle, einfache und bürgernahe E-Government-Angebote zu schaffen. Denn in der digitalen Verwaltung sind solche Nachweispflichten eigentlich ein Anachronismus, vor allem dann, wenn immer wieder dieselben Unterlagen vorzulegen sind. Sollen medienbruchfreie Verwaltungsprozesse geschaffen werden, müssen wir darüber nachdenken, wie solche Nachweise anders als in Papierform oder als gescannte Datei beigebracht werden können. Zu überlegen wäre, Nachweispflichten ähnlich wie Schriftformerfordernisse grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen und, wo immer möglich, abzuschaffen. Gänzlich wird man nicht darauf verzichten können, gerade wenn es um den Bezug von staatlichen Leistungen geht.

Ideen zum einfachen Datenaustausch

Intelligenter wäre es jedoch, wenn sich Behörden in Zukunft untereinander die Nachweise selbst beschaffen und nicht jedes Mal bereits erhobene Daten neu erfassen. Das E-Government-Gesetz des Bundes sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor. Was derzeit noch fehlt, sind konkrete Überlegungen, wie die Nachweisbeschaffung der Behörden untereinander technisch, organisatorisch und rechtlich unterfüttert werden kann. Für das eingangs geschilderte Beispiel der Geburt eines Kindes sind verschiedene Szenarien denkbar: So könnte die Auszahlung von staatlichen Unterstützungsleistungen für Eltern pauschal aufgrund der Geburtsmeldung ohne weitere Nachweise erfolgen. Oder das Finanzamt berücksichtigt automatisch bei der jährlichen Steuerberechnung eine Kinderpauschale. Denkbar wäre auch eine einkommensunabhängige Einmalzahlung auf ein Guthabenkonto der Eltern. Möglich wäre auch, dass eine Institution – Finanzamt, Standesamt oder die Krankenkasse – im Sinne einer zentralen Anlaufstelle als Dienstleister die Registrierung der Geburt sowie die Informationsweiterleitung an andere Behörden übernimmt und automatisch die Auszahlung von Kinder- und Elterngeld und die Reservierung eines Kita-Platzes initiiert. Des Weiteren könnte bei der Geburt eines Kindes für dieses ein zentraler Container mit Identitätsdaten geschaffen werden, auf den die Eltern (bei Volljährigkeit dann das Kind) Zugriff haben. Dieser Container könnte als eine Art Dokumenten-Safe fungieren, bei dem die Eltern es entweder den Behörden gestatten, auf die dort hinterlegten Daten und Dokumente zuzugreifen oder aus dem heraus sie selber Nachweise an andere Behörden schicken.

Unter folgenden Voraussetzungen

Um solche Ideen praktisch umsetzen zu können, sind andere technische, organisatorische und rechtliche Voraussetzungen notwendig. Bestehende Rechtsnormen müssen überdacht und an die fortschreitende Digitalisierung von Staat und Gesellschaft angepasst werden. Die technischen Rahmenbedingungen müssen verbessert werden, um die ebenenübergreifende Kommunikation zu ermöglichen. Lieb gewordene Gewohnheiten gehören auf den Prüfstand und Lösungen für neue Phänomene müssen gefunden werden. Über einzelne Aspekte kann dabei durchaus kontrovers diskutiert werden. Wichtig ist, dass die Diskussion aus der Fachlichkeit heraus entsteht und die übergeordneten Fragestellungen angegangen werden. Diese lauten:

Bündelungsinstanzen schaffen: Es bedarf einer zentralen Stelle, die für einzelne Lebenslagen als Dienstleister für Bürger und Unternehmen auftritt und alle weiteren am Prozess beteiligten Behörden informiert oder dort automatisch weitere Prozesse anstößt. Für Unternehmen gibt es heute den Einheitlichen Ansprechpartner, in dem das Prinzip des Kümmerers verwirklicht wurde. Für Lebenslagen von Bürgern müssten mögliche Stellen definiert werden und es ist zu überlegen, wie die Aufgaben im Detail gestaltet sein müssen.

Interkommunale Kooperation ausbauen: Ortsübergreifende Zuständigkeiten sollten zum Normalfall werden. Die ebenenübergreifende Kooperation zwischen Verwaltungen wird leichter und eher zum Regelfall, wenn die Erbringung von Leistungen nicht zwangsläufig an Ortsgrenzen gebunden ist, sondern Leistungen von Spezialisten für andere im Verbund erbracht werden (Shared Services).

„Electronic by default“ als Leitprinzip: Wenn die elektronische Abwicklung von Prozessen nicht mehr auf freiwilliger Basis erfolgt, sondern als Regelfall definiert ist, verbreiten sich Angebote und voraussichtlich auch die Nachfrage. Effizienz- und Kostenvorteile könnten so besser genutzt werden. Zusätzlich entsteht der Effekt, dass der elektronische Weg nicht mehr als Ausnahmefall gesehen wird und auf Verwaltungs- wie auch auf Kundenseite mehr Sicherheit im Umgang mit elektronischen Prozessen entsteht. Unterfüttert werden kann dies mit der Schaffung und Bewerbung von Anreizsystemen, indem beispielsweise der elektronische Weg kostengünstiger angeboten oder eine schnellere Bearbeitung zugesichert wird.

Zweckbindung von Daten ausweiten: Die Verwaltung ist technisch durchaus in der Lage, auf das immer wieder neue Ausfüllen von Formularen oder Datenfeldern durch den Verwaltungskunden zu verzichten (Once-only-Prinzip). Allerdings verhindert die bestehende Zweckbindung bei der Erhebung von Daten oftmals durchgängige Verfahren. Die Verwaltung hat kein Interesse daran, die Daten ihrer Bürger als Handelsware am Markt zu verkaufen. Aber sie benötigt für kundenorientierte Services und zur Sicherstellung der Aktualität von Daten einen Zugriff auf in der Verwaltung schon vorliegende Informationen. Hierfür ist ein entsprechendes Rollen- und Rechtekonzept für den Zugriff auf die Datenbestände zu erarbeiten.

Elektronische Identitäten und Urkunden einführen: Im Zuge der Reformation des Personenstandsrechts tragen Standesämter heute Geburten, Hochzeiten und Todesfälle in ein elektronisches Register ein; die Einträge werden von den Standesbeamten elektronisch signiert. Die Geburtsurkunde, die den Eltern ausgehändigt wird, ist damit streng genommen die Papierkopie eines elektronischen Originals. Angesichts der jahrhundertelangen Tradition der Führung von Personenstandsbüchern bedeutet das einen echten Paradigmenwechsel hin zu elektronischen Identitäten. Es wird Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, wie mit diesen im Netz umgegangen werden soll und welche elektronischen Varianten es für hoheitliche Dokumente geben kann, die Urkundencharakter haben. Dafür muss gegebenenfalls noch der rechtliche Rahmen geschaffen werden.

Stabile und sichere Infrastrukturen: Wenn Behörden sich untereinander Nachweise beschaffen sollen, ist eine technische Infrastruktur nötig, damit die Kommunikation und der Austausch von Informationen funktioniert. Das deutsche Verwaltungsnetz DOI bietet die technische Basis, um ebenenübergreifende Verfahren abzuwickeln. Daran sind aber bisher noch nicht alle Kommunen angeschlossen. Die Anschlussbedingungen sehen vor, dass sicherheitspraktische Voraussetzungen wie IT-Grundschutz geschaffen werden müssen. Dafür müssen personelle und finanzielle Ressourcen aufgebracht werden. Darüber hinaus existiert bislang kein deutschlandweites Behördenverzeichnis, das eine Adressierung aller öffentlichen Stellen erlaubt. Das vorhandene Deutsche Verwaltungsdiensteverzeichnis (DVDV) wäre hierfür weiter auszubauen. Bis heute wird es nur für die Kommunikation innerhalb bestimmter Fachlichkeiten genutzt. Das DVDV wurde im Jahr 2005 entwickelt und ist in seiner heutigen Architektur für die Erweiterung auf die Kommunikation aller Behörden nicht geeignet. Der vom IT-Planungsrat beschlossene Ausbau des DVDV bezieht sich allein auf technische Erneuerungen, die zudem frühestens Ende 2017 wirksam werden.

Medienbruchfreie Prozesse auf allen Verwaltungsebenen

Die aktuelle schwierige Situation bei der Registrierung, Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen zeigt, dass es schneller gehen muss. Die am Prozess beteiligten Behörden – ob beim Bund, den Ländern oder in den Kommunen – benötigen schnell Zugriff auf vorhandene Daten und Informationen, um adäquate Hilfe zu leisten und dem Integrationsauftrag nachkommen zu können. Bisher fehlt ein durchgängig elektronischer Vorgang, in dessen Verlauf alle notwendigen Informationen von allen beteiligten Behörden (je nach Aufgabe) eingesehen und bearbeitet werden können. Hierzu bedarf es übergreifender Lösungen für die elektronische Aktenführung und Vorgangsbearbeitung und es müssen Standards für den Integrationsprozess geschaffen werden. Mit dem Datenaustauschverbesserungsgesetz wurde der rechtliche Rahmen geschaffen, aber die technische Unterfütterung fehlt noch. Voraussetzung für durchgängig medienbruchfreie Prozesse auf allen Verwaltungsebenen sind vollständig IT-gestützte Arbeitsprozesse, vom Posteingang bis hin zur Archivierung. Dazu bedarf es einer sicheren IT-Infrastruktur und der Schaffung von Standards für den Datenaustausch in der öffentlichen Verwaltung. Es muss eine sichere und stabile Infrastruktur (Netze, Hard- und Software) geschaffen werden, in denen die sensiblen Daten der Verwaltungen und ihrer Kunden vor Angriffen von außen geschützt sind. Entsprechend müssen dauerhaft Maßnahmen für die Gewährleistung von IT-Sicherheit, Datenschutz und Ausfallsicherheit ergriffen werden. Unterschiedliche Anbieter von Verfahren und ein heterogener Kreis von Anwendern bedeuten eine zusätzliche Herausforderung für die Betriebsstabilität der IT-Systeme und für die Kompetenzen der beteiligten Akteure.

Tina Siegfried ist Referentin für E-Government bei der Bundes-Arbeitsgemeinschaft der Kommunalen IT-Dienstleister, Vitako.




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