Kreis ViersenVorreiter für BIM
Bauvorhaben im öffentlichen Bereich gestalten sich zunehmend komplexer. Rasante technische Entwicklungen, wachsende Vorschriften und Regelwerke, Internationalisierung und gestiegene Ansprüche an die Nachhaltigkeit stellen an Fachplaner und Fachämter hohe Anforderungen.
Grund genug für den nordrhein-westfälischen Kreis Viersen, sich im Rahmen des geplanten Kreisarchiv-Neubaus intensiv mit einer innovativen, auf digitalen Werkzeugen basierenden Methode zu beschäftigen, die sowohl den Prozess der Planung und des Baus als auch des Gebäudebetriebs ganzheitlich unterstützt und optimiert. Mit der Einführung von Building Information Modeling, kurz: BIM, startet nun das erste Pilotprojekt, das sich durch mehr Transparenz bei der Kommunikation und Zusammenarbeit in den Projekten auch für andere Kommunen als Vorbild erweisen kann. Aktiv begleitet wird der Kreis Viersen dabei von namhaften externen BIM-Experten sowie der IRBau (Initiative für Ressourcenschonende Bauwirtschaft, Berlin).
Prinzip der zirkulären Wertschöpfung
Auf Initiative der Verwaltungsspitze erfolgen der Bau des Kreisarchivs sowie zu einem späteren Zeitpunkt des neuen Straßenverkehrsamts und einer Förderschule nach den Prinzipien der zirkulären Wertschöpfung. Will heißen: Es soll damit zum einen mehr Energie erzeugt als verbraucht werden. Zum anderen ist das Ziel, möglichst alle Baustoffe und Materialien – vom Beton über den Fußbodenbelag bis hin zu den Möbeln – nach ihrer Nutzung wiederverwenden zu können. Denn schwindende Ressourcen machen es unerlässlich, den Materialeinsatz im Bauwesen zu überdenken und rohstoffschonender zu gestalten.
Das setzt ein genaues, auch nach Jahren oder Jahrzehnten noch abrufbares Wissen über die verbauten Materialien, Massen, Einbauorte und Einbauzustände voraus. Sind die Konstruktionselemente vergossen, verschraubt, verleimt oder verblattet? Aus welchem Material besteht die Fassadendämmung? Welche Kunststoffe befinden sich in den Kabelkanälen? Und womit wurde der Teppichboden auf den Estrich geklebt? Mit den Antworten auf diese Fragen lassen sich Kreislaufpotenziale ermitteln und durch Weiterverwendung ein Stoff- beziehungsweise Mehrwert generieren, aber auch weitere Kostenbelastungen bei einer notwendigen Entsorgung berechnen.
Um die zirkuläre Wertschöpfung berücksichtigen zu können, ist der konsequente Einsatz von BIM Voraussetzung. Auf Grundlage eines digitalen Bauwerkmodells, dem BIM-Koordinationsmodell, werden sämtliche Prozesse im Verlauf eines Bauprojekts virtuell dargestellt und innerhalb einer Datenbank die zugehörigen grafischen, geografischen und alphanumerischen Parameter und Kennwerte zugeordnet.
Dafür liefern alle Baubeteiligten die Daten ihrer Leistungen und Produkte, die im Kommunikationsportal des BIM-Systems zusammengeführt werden. Ein offenes Modell ermöglicht den Zugriff aus unterschiedlichen Systemen und Programmen mit einer dem Bedarf entsprechend festgelegten Rollenverteilung. Gespeichert wird das BIM-Modell in einer zentralen Datenbank der Abteilung Gebäudemanagement des Kreises Viersen. Das Hosting der Daten übernimmt das Kommunale Rechenzentrum Niederrhein (KRZN).
Gebäude erhalten digitalen Zwilling
Für die übergangslose Verfügbarkeit der digitalen Daten durch die Phasen des Planens, Bauens und Betreibens erhält jedes reale Gebäude einen digitalen Zwilling mit den wichtigsten Angaben zu den verwendeten Materialien. Digital lässt sich damit sehr genau prüfen, auf welchem Stand die Gebäude sind und wo ein Eingriff ansteht – ein wichtiger Faktor für ein präzises Erhaltungsmanagement. So stehen auf Abfrage beispielsweise Informationen über den Zeitrahmen für den Austausch von Baustoffen und Bauteilen zur Verfügung. Auf der anderen Seite sind schnelle Reaktionen bei einer Warnung vor schädlichen Stoffen möglich. Auch hier wird ersichtlich, ob, wo und in welchen Mengen ein Stoff verbaut wurde. Ohne BIM ließe sich das nur schwer nachvollziehen, die Informationen wären nicht belastbar.
Die Bestandsdaten zu den Gebäuden liefert das BIM-System auf einem sehr hohen Niveau. Damit entfällt der bisherige Mehraufwand bei der Beschaffung und Pflege der Bestandsdaten im Facility Management. Die im Kreis Viersen eingesetzte Lösung Liegenschafts- und Gebäudemanagement von Axians Infoma soll zukünftig die Informationen aus den BIM-Modell-Daten erhalten, sodass beispielsweise im Zuge der Betreiberverantwortung die Daten sofort bereitstehen ohne mühselige Recherche in Ordnern und Archiven. In Zeiten schrumpfender Personalkapazitäten und steigender Anforderungen an eine betreiberverantwortliche Immobilienbewirtschaftung ist das ein großer Vorteil.
3D reicht nicht mehr aus
Eines steht fest: Im modernen Gebäude-Management ist ein digitaler Zugang zu den Gebäuden zwingend erforderlich. Die Darstellung dreidimensionaler Pläne reicht heute nicht mehr aus. Es muss ganz eindeutig sein, welches Material verwendet wurde und welche Risiken darin liegen. Ziel des Kreises Viersen ist es, mithilfe der BIM-Methode das Prinzip der zirkulären Wertschöpfung bei Neubauten und – nach den ersten Erfahrungen und der Entwicklung einer systematischen Vorgehensweise – in einer zweiten Stufe bei Sanierungen im Bestand anzuwenden. Auf diese Weise lässt sich auch in 40 Jahren bei einem Austausch der Fenster noch feststellen, dass das Holz der Rahmen keine Lösungsmittel enthält und ohne Probleme dem Stoffkreislauf zugeführt werden kann. Voraussetzung dafür ist einerseits ein Umdenken bei den Planungsprozessen; andererseits müssen sich alle Beteiligten auf eine digitale Kommunikationsebene einstellen und diese konsequent nutzen.
Welche Stoffe und Materialien sich in den Gebäuden befinden, ist aber auch für die Kämmereien eine wichtige Information. Denn die noch ungeklärte Frage lautet: Wie können nachhaltige Gebäude nach dem Neuen Kommunalen Finanz-Management (NKF) in Zukunft abgeschrieben werden? Gelten sie doch im Sinne der zirkulären Wertschöpfung als Rohstofflager, die nie vollständig abgeschrieben werden? Hierin liegt auch eine politische Herausforderung, Neuland zu betreten.
BIM ist eine Investition in die Zukunft
Für den Kreis Viersen bedeutet die Umsetzung von Building Information Modeling nicht nur die Gewissheit, dass sich nachhaltiges Bauen damit in der Praxis sinnvoll umsetzen lässt. Vielmehr ist es ein weiterer Schritt in Richtung Digitalisierung. Transparentere Prozesse, neue Wege, um die Komplexität der Arbeit besser handhabbar zu machen und die mit jedem Projekt einhergehende Steigerung der Fachkompetenz sind dabei wichtige Faktoren. Zugleich ist BIM als Investition in die Zukunft zu sehen. Denn beim momentan bestehenden Fachkräftemangel sollten sich Mitarbeiter auf das Wesentliche konzentrieren können und nicht Gebäudedaten zusammentragen müssen. Eine Bewirtschaftung der Objekte wird daher in Zukunft ohne die Erfassung der Gebäudedaten im BIM kaum mehr rationell möglich sein.
Mit der Planung des Kreisarchivs nach den Prinzipien der zirkulären Wertschöpfung hat der Kreis Viersen die Vorreiterrolle bei der Umsetzung von Building Information Modeling in der öffentlichen Verwaltung übernommen – und trägt damit der Zukunft des Bauens Rechnung.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Januar 2019 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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