Vitako-JubiläumWege zur Netzwerkverwaltung
In der IT-Welt sind zehn Jahre eine Ewigkeit. Im Jahr 2005 waren die heute prägenden Technologien wie Smartphones oder Tablets noch nicht einmal am Horizont erkennbar. Heute finden sich viele Menschen ohne diese Geräte gar nicht mehr zurecht. Dass es auch erstaunliche Kontinuitäten gibt, insbesondere was die Ziele der IT der öffentlichen Hand angeht, wurde auf einer Veranstaltung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Kommunalen IT-Dienstleister, Vitako, deutlich. Am 2. Dezember 2005 wurde die Bundesarbeitsgemeinschaft aus der Taufe gehoben. Aus diesem Anlass lud der Verband, der sich 2006 in Vitako umbenannte, zur Jubiläumsfeier nach München ein (2. bis 3. Dezember 2015). Etwa hundert Gäste, darunter viele ehemalige Geschäftsführer aus Vitako-Mitgliedsunternehmen sowie Vertreter aus Politik und Verwaltung, waren der Einladung gefolgt.
Martin Schallbruch, IT-Direktor im Bundesministerium des Innern (BMI), richtete in seinem Vortrag den Blick nach vorn. Schallbruch erwartet in den kommenden zehn Jahren – anders als in den vergangenen – „disruptive Entwicklungen“. Die IT der öffentlichen Hand stehe vor drei Herausforderungen. Es gelte einen digitalen Leistungsverbund aller Ebenen des Staates aufzubauen und digitale Räume zu schaffen, in denen sich öffentliche Hand und private Dienstleister vernetzen. Zudem müsse die Autonomie und Handlungsfähigkeit des Staates bewahrt werden. Schallbruch warnte: „Fast die Hälfte der EU-Staaten nutzt auf zentraler Ebene Cloud-Dienste von Amazon Web Services.“ Um zu verhindern, dass sensible Daten deutscher Behörden in unbefugte Hände geraten, müsse stärker in die digitale Infrastruktur investiert werden. Schallbruch forderte auch eine Debatte über die föderale IT-Infrastruktur. Die derzeitige Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen gehöre auf den Prüfstand. Für ihn ist es Aufgabe des Bundes für die Backbone-Infrastruktur zu sorgen, die vernetze Verwaltung müsse auf kommunaler Ebene aufgebaut werden. Vitako-Vorstand Peter Kühne machte den IT-Direktor im BMI darauf aufmerksam, dass dies nicht ganz einfach werden dürfte: „Wir haben ein durchgehend klammes Kundenklientel.“
Vorausschauendes Verwaltungshandeln
Franz-Reinhard Habbel, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, lobte in seinem Grußwort den Verband Vitako als Vorreiter einer neuen Zusammenarbeit. Die Bedeutung der kommunalen IT-Dienstleister sei in den vergangenen Jahren enorm gestiegen, ihre Rechenzentren seien systemrelevant. Aufgabe der Kommunen und ihrer IT-Dienstleister sei es nun, die Silos zu verlassen und ihre Aufgaben in Netzwerken zu organisieren. Allerdings drohe Konkurrenz von unerwarteter Seite: Unternehmen wie Google oder Facebook seien bereits tief in den Bereich öffentlicher Leistungen eingedrungen. Google sei der zentrale Online-Zugang zur Verwaltung, über 90 Prozent aller Anfragen nach Behördenleistungen würden über die Suchmaschine gestellt und mit Google Maps habe der Internet-Konzern die Hoheit über Kartenanwendungen gewonnen. Deshalb sollten Staat und Kommunen nach Auffassung von Habbel in das Geschäft mit Daten einsteigen. Das Ziel laute: Vorausschauendes Verwaltungshandeln durch die Auswertung und Analyse von Daten.
Um die Zukunft der kommunalen IT-Dienstleister ging es im Vortrag von Reinhold Harnisch, der für den erkrankten Kölner IT-Leiter Andreas Engel einsprang. Der Chef des Kommunalen Rechenzentrums Minden-Ravensberg/Lippe (krz) nannte drei Pfade, welche die Unternehmen einschlagen können:
Kommunale Rechenzentrumsfabriken: Die Rechenzentren heutiger Prägung werden ersetzt durch RZ-Fabriken, auf denen Rechenleistung, Speicherkapazität und Anwendungen nach Bedarf abgerufen werden.
Kompetenzzentren für innovative Anwendungen: Kommunale IT-Dienstleister entwickeln sich vom Full-Service-Anbieter zu Entwicklern innovativer Anwendungen für spezielle Bereiche. Der Full-Service für Kunden wird durch den Leistungsaustausch der kommunalen Rechenzentren sichergestellt.
Kommunale IT-Strategieberatung: Die IT-Dienstleister werden zu Mitgestaltern einer kommunalen Digitalen Agenda. Sie wechseln die Seite vom IT-Produzenten zum IT-Berater der Kommunen.
Für Harnisch persönlich ist klar, dass in den vergangenen zehn Jahren der Aufbau einer digitalen Infrastruktur verschlafen wurde. Die Aufgabe „Daseinsvorsorge Internet“ würde von den kommunalen Unternehmen noch nicht flächendeckend wahrgenommen. Er warf auch die Frage auf, ob die IT-Anforderungen der Verwaltungen immer so individuell seien, wie behauptet und ob beispielsweise nicht ein Einwohnerwesen für ganz Deutschland genüge. Die größten Erfolge lassen sich laut Harnisch mit gebündelten IT-Leistungen erzielen. Seinen Kollegen schrieb er ins Stammbuch: Nicht die Größten überleben, sondern die Schnellsten.
Digitale Identitäten
Einer der Höhepunkte der Vitako-Jubiläumsveranstaltung waren die launigen Ausführungen von Erwin Schneider. Der Landrat von Altötting war eingeladen, um über die Anforderungen der Kunden an die kommunalen IT-Dienstleister zu referieren. Er gab gleich zu, dass er wenig von IT verstehe – offenbarte aber immerhin eine Smartwatch am Handgelenk, die ihm von seinen Mitarbeitern aufgenötigt worden sei, damit sie ihn jederzeit um dringende Rückrufe per SMS bitten können. Sein Testurteil für die Apple Watch: „Die ist ihr Geld nicht wert.“ Verwundert zeigte sich der Landrat, dass es nicht gelungen sei, mit dem neuen Personalausweis, der digitalen Identität zum Durchbruch zu verhelfen. Diese gebe es andernorts längst. Nach Ausbruch der Rinderseuche BSE sei ein umfassendes Kennzeichnungs- und Registrierungssystem für Rinder – sichtbar an Ohrmarken mit Strichcode – eingeführt worden. Jedes seiner Tiere – der Landrat ist im Nebenberuf Landwirt – habe seither eine digitale Identität. Schneider: „Es gibt keine illegalen Rindviecher in Europa.“ Eine Bitte hatte er dann doch an die versammelten kommunalen IT-Dienstleister: „Denken Sie unsere Anforderungen voraus – und daran, dass das Ganze nichts kosten darf.“
Urzellen von Vitako
Den Blick zurück warf Matthias Kammer, der 2005 zum ersten Vorsitzenden gewählt wurde. Die Urzellen von Vitako waren die Interessenverbände der kommunalen Rechenzentren in Nordrhein-Westfalen, AKD (Arbeitsgemeinschaft Kommunale Datenverarbeitung) und KDN (Kommunale Datenverarbeitung Nordrhein-Westfalen). Die AKD hatte sich bereits für Mitglieder außerhalb Nordrhein-Westfalens geöffnet. Im „Blankenheimer Kreis“, in dem sich Vertreter der AKD regelmäßig trafen, wurden dann die ersten Pläne zur Gründung einer bundesweiten Interessenvertretung der kommunalen IT-Dienstleister geschmiedet. Triebfeder der Gründung war nach den Worten von Kammer die Erkenntnis, dass die IT in der Verwaltung eine Management-Aufgabe ist. Der Motor war dann Ulrike Löhr. Ohne das Engagement der damaligen Düsseldorfer Beigeordneten, gäbe es die Bundesarbeitsgemeinschaft heute nicht, sagte Kammer. Mit dem neuen Verband sollten der Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen IT-Dienstleistern intensiviert und die Interessen der kommunalen IT gegenüber Bund, Ländern und der IT-Industrie lauter vertreten werden. Bei der Gründungsversammlung am 2. Dezember 2005 in München fiel dann eine fatale Zahl. Der als Gastredner eingeladene Würzburger Professor Rainer Thome, von 2002 bis 2003 E-Government-Berater der bayerischen Staatsregierung, rechnete vor, dass durch den verstärkten IT-Einsatz in der öffentlichen Verwaltung, fünf Milliarden Euro eingespart werden könnten. In der Pressemeldung zur Gründung der Bundesarbeitsgemeinschaft hieß es dann: „Besser vernetzte Verwaltungen können Milliarden sparen und den Bürgerservice einfacher machen.“ Die Zahl fünf Milliarden sei dann ihm zugeschrieben worden, berichtete Kammer. Mit dem Ergebnis, dass er von Haushältern immer wieder gefragt worden sei: Wo bleibt mein Anteil?
Immerhin: Viel von dem was zehn Jahre später in München diskutiert wurde, war in der Pressemeldung schon genannt. Zitat: „Die Mitglieder möchten Verwaltungsdienstleistungen stärker verknüpfen und unabhängig vom Ort ihrer Produktion dort bereitstellen, wo sie nachgefragt und benötigt werden. Erst mit Informationstechnik wird die öffentliche Verwaltung zur Netzwerkverwaltung, die als Leistungsverbund Aufgaben und Kompetenzen des Bundes und der Länder mit der Sachkompetenz kommunaler Aufgabenträger verbindet und ortsnah verfügbar macht.“ IT-Direktor Martin Schallbruch wird dies auch heute noch mit Interesse lesen.
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