Freitag, 18. April 2025

GovTech Start-upsWo ein Markt, da ein Start-up

[06.03.2024] Start-up-Unternehmen mischen bei der Digitalisierung von Staat und Verwaltung kräftig mit – innovativ und zunehmend erfolgreich. Eine neue Kommune21-Serie stellt GovTechs vor, die in verschiedenen Bereichen für den öffentlichen Sektor aktiv sind.
GovTech-Firmen starten durch.

GovTech-Firmen starten durch.

(Bildquelle: Deivison/stock.adobe.com)

Entrepreneurship und Gründungsfieber liegen den Deutschen nicht im Blut, heißt es oft, dabei hat sich in den vergangenen zwei Dekaden hinsichtlich Existenzgründung unter jungen Menschen einiges getan. Namhafte Jungunternehmen sind aus den Gründerzentren in München, Berlin, Frankfurt am Main und Nordrhein-Westfalen hervorgegangen. Die Zahlen können sich trotz Corona-Knick sehen lassen: Der aktuelle Deutsche Start-up-Monitor 2023 zählt 1.825 Jungfirmen, 4.559 Gründerinnen und Gründer und 31.925 Mitarbeitende. Start-ups bilden sich vor allem im Umfeld von Universitäten. Laut Frankfurter Allgemeine Zeitung liegt München augenblicklich vorn. An der Technischen Universität München gründet sich jede Woche eine neue Firma; zusammen haben diese allein im vergangenen Jahr zwei Milliarden Euro an Wagniskapital eingeworben.
Das Münchner Modell, dem eine professionelle Gründungsagentur zugrunde liegt, soll mit dem Segen und Geld des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) an den Universitäten in der ganzen Republik Nachahmung finden. Das BMWK hat soeben einen Leuchtturmwettbewerb „Start-up Factories“ aufgelegt und will die Gewinner fünf Jahre lang mit bis zu zehn Millionen Euro pro Projekt fördern. Das wäre eine gute Chance für Jungunternehmen, die im öffentlichen Sektor tätig sind, so genannte GovTechs (Government Technology). Sie sind in der deutschen Start-up-Szene bislang reichlich unterrepräsentiert.

GovTech in Deutschland

GovTech bezeichnet Firmen, die mit ihren Lösungen die digitale Transformation des Staats vorantreiben und Verwaltungseinrichtungen und staatliche Services modernisieren wollen. Es soll inzwischen über 400 GovTechs in Deutschland geben, die digitale Tools für die unterschiedlichsten Bereiche des öffentlichen Sektors entwickeln: von Klimaschutz über Gebäude-Management bis hin zu originären Verwaltungsaufgaben. Fasst man die Definition von GovTech etwas enger und setzt voraus, dass die Unternehmen nicht älter als vier Jahre sind (Start-up), mindestens 50 Prozent ihres Umsatzes im öffentlichen Sektor erzielen (Gov) und zu mehr als 50 Prozent Technologieprodukte entwickeln (Tech), bleiben noch 36 Unternehmen übrig.
Diese Rechnung macht Björn Niehaves auf, Informatikprofessor an der Universität Bremen. Er leitet dort die Arbeitsgruppe „Digitale Transformation öffentlicher Dienste“ und ist zurzeit damit befasst, für das Nationale E-Government Kompetenzzentrum (NEGZ) eine Studie über „GovTech in Deutschland“ zu erstellen. „GovTechs spielen eine zunehmend wichtige Rolle bei der Digitalisierung der Verwaltung, indem sie mit staatlichen Stellen, Beratungsgesellschaften und öffentlichen IT-Dienstleistern kooperieren, um aktuelle Technologien schnell und kostengünstig zu nutzen“, sagt Björn Niehaves. „Sie sind vor allem in Bereichen aktiv, die bisher von klassischen Anbietern oder den Verwaltungen selbst nicht abgedeckt wurden, und treiben so Innovationen voran.“

Innovative Vergabeprozesse sind gefragt

Noch vor wenigen Jahren ließ sich die Zahl der reinen GovTechs an zwei Händen abzählen. Der Public Sector war weder für die junge Gründergeneration noch für Investoren und Kapitalgeber sonderlich interessant. Beschaffung und Vergabe galten als größte Hürde. Der Bundesverband Deutsche Start-ups machte aufgrund der strengen Beschaffungsvorgaben in der Verwaltung eine „Fort-Knox-Mentalität“ aus. Denn kaum einem Start-up konnte es gelingen, das Kriterium der Marktetablierung zu erfüllen und genügend Referenzkunden und Mindestumsätze vorzuweisen. Hier sind flexiblere und innovative Vergabeprozesse gefordert. Außerdem passte oftmals die Mentalität nicht. Agilität, Offenheit und Innovationskultur – lange Zeit Fremdwörter in der deutschen Verwaltung.
Hier hat sich Einiges getan. Mit Initiativen wie GovTecHH bemüht sich etwa die Freie und Hansestadt Hamburg, erster Ansprechpartner für Start-ups zu sein, die mit der Verwaltung zusammenarbeiten wollen. GovTecHH tritt als Vermittlungsinstanz zwischen Angebot und Bedarf auf. Ein GovTech-Unternehmen kann dort sein Portfolio und die Lösungen vorstellen, die es für die Verwaltung entwickelt hat, und die Agentur sucht nach einem passenden Partner aus dem öffentlichen Sektor. „Für uns als junges Tech Start-up war GovTecHH der ideale ‚Fuß in der Tür‘, um einen ersten, großen Kunden im öffentlichen Sektor zu gewinnen“, wird Flora Geske, Mitgründerin von Summ.AI, auf der Website der Initiative zitiert. Das Münchner Start-up, das sowohl für Behörden als auch für Unternehmen tätig ist, bietet ein Übersetzungstool für Leichte Sprache an.

Junge Ideen mit Bürgernähe

Zwar ist die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung in den vergangenen Jahren vorangekommen, dennoch gelang es den etablierten Playern nicht, die selbstgesetzten Ziele fristgemäß zu erreichen. Schlägt deshalb nun die Stunde der Start-ups und GovTech-Firmen? Ihre Zahl zumindest wächst beständig. Viele Kommunen wollen endlich vom Abwarten ins Tun kommen, und wo ein Markt ist, dort ist schnell eine Firma gegründet. GovTechs besetzen oft Marktlücken und Innovationsfelder. Während Verwaltungen noch damit beschäftigt sind, ihre grundlegenden Verfahren und Prozesse in die Digitalwelt zu überführen, denken die jungen Gründer längst weiter. „Besonders viele Start-ups beobachten wir in den Bereichen Künstliche Intelligenz, LowCode/NoCode, Barrierefreiheit und Bürgerkommunikation sowie Nachhaltigkeit und Liegenschafts-/Infrastruktur-Management“, bemerkt Björn Niehaves.
Die Nähe zum Kunden, den Bürgerinnen und Bürgern ist ein weiterer Vorteil, den viele GovTechs bieten. Oftmals fällt den jungen Gründerinnen und Gründern ein Geschäftsmodell aus den Erfahrungen in der eigenen Lebenswelt ein. Eine Bürger-App, eine App für die Online-Identifizierung, eine Plattform für den Klimaschutz oder für Geflüchtete. Viele GovTechs beginnen in der sprichwörtlichen Garage mit kleinem Team, sind eigenfinanziert und wachsen von Auftrag zu Auftrag. Andere sammeln Kapital von Investoren und werden professionell in Gründerzentren betreut und in Inkubatoren aufgepäppelt. So erhielt das Berliner GovTech Polyteia im vergangenen Jahr eine Finanzspritze von fünf Millionen Euro durch seinen Altinvestor, der unvermindert an die Datenplattform für Städte, Gemeinden und Landkreise glaubt.

Übernahmen und Mehrheitsbeteiligungen

Das Münchner Unternehmen GovRadar wiederum wurde von zwei Business Angels mit einer sechsstelligen Summe ausgestattet. Es teilte daraufhin mit: „Die Finanzierung wird eingesetzt, um die Präsenz bei deutschen Kommunen auszubauen, eine Integration von Lieferanten in die Plattform zu entwickeln und um die Software-as-a-Service-Lösung für die Verteidigungsbeschaffung anzupassen.“
Komplette Übernahmen oder Mehrheitsbeteiligungen durch Großunternehmen – der Traum mancher Gründer – kommen im GovTech-Bereich eher selten vor. Dem Berliner Start-up Ubitricity, das kommunale Straßenlaternen in Ladesäulen verwandelt, ist dies mit dem Energieriesen Shell gelungen. Ein Beispiel für die freundliche Übernahme eines GovTechs durch die öffentliche Hand ist Tech4Germany, die zu Beginn der Corona-Pandemie den #WirVsVirus-Hackathon initiiert hatten. Im September 2020 wurde die 4Germany UG vom Bund aufgekauft und sitzt seitdem als DigitalService GmbH des Bundes in Berlin-Kreuzberg.

Helmut Merschmann


Stichwörter: Politik, Start-ups, GovTech


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