Donnerstag, 20. März 2025

Kreis TraunsteinExpertise halten, Kräfte schonen

[20.03.2025] Wie der Fachkräftemangel entschärft werden kann, zeigt sich im Kreis Traunstein. Die Kommune dokumentiert bislang nicht verschriftlichtes Expertenwissen ihrer Mitarbeiter, sodass es personenunabhängig zur Verfügung steht. Auch Automatisierungspotenziale werden gehoben.
Foto von Julian Heigenhauser, Jennifer Schürholz und Sebastian Jahn, die nebeneinander stehen.

Das Traunsteiner Projektteam will mit ERAS den Weg für eine zukunftssichere, bürgernahe Verwaltung ebnen.

v.l.: Julian Heigenhauser und Jennifer Schürholz, Landratsamt Traunstein; Sebastian Jahn, Projektmanager für KI-Projekte in der Kommunalverwaltung bei der arf GmbH

(Bildquelle: Kreis Traunstein)

Im öffentlichen Sektor wird die Personaldecke dünner und dünner. Die Verrentung und Pensionierung der geburtenstarken Jahrgänge ist bereits im Gange, Nachwuchskräfte aber fehlen. Aktuell zählt der öffentliche Dienst noch mehr als fünf Millionen Beschäftigte. Bis zum Jahr 2030 werden ihm laut Prognosen eine Million Fachkräfte fehlen, was etwa 18 Prozent an unbesetzten Stellen entspricht. Effizienzverluste, eine sinkende Leistungsfähigkeit und ein Rückgang der Servicequalität sind die Folge. Umso achtsamer ist mit vorhandenen Ressourcen umzugehen. Dazu zählt auch das über die Jahre aufgebaute Wissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ist dieses Know-how nur in deren Köpfen abgelegt, geht es verloren, sobald die Mitarbeiter aus der Verwaltung ausscheiden. Um diesen Verlust abzuwenden, ist im Kreis Traunstein das Pilotprojekt ERAS – Expertise Retention & Automation Solution – ins Leben gerufen worden. 

Das ERAS-Konzept setzt auf innovative Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) und Robotic Process Automation (RPA). Es ermöglicht zum einen die strukturierte Erfassung und Dokumentation von Fachwissen. Dies erfolgt durch persönliche Interviews, aber auch durch die direkte Interaktion mit den Mitarbeitern. Zum anderen identifiziert es die Digitalisierungs- und Automatisierungspotenziale einer Verwaltung. Im Ergebnis steht der Verwaltung wertvolles Expertenwissen personenunabhängig zur Verfügung. Sie kann Nachwuchskräfte wirtschaftlicher einarbeiten und bleibt dank optimierter Prozesse auch mit deutlich weniger Personal leistungsfähig.

Erstmals umgesetzt wurde ERAS im Traunsteiner Gesundheitsamt. Aufgrund des deutlichen Mehrwerts, der dort erzielt werden konnte, hat sich die Lösung als mittelfristige hausweite Strategie etabliert und wird nun sukzessive in weiteren Fachbereichen des Landratsamts umgesetzt.

Wissensmanagement, Automatisierung, Wettbewerbsfähigkeit

Das ERAS-Konzept wird von drei wesentlichen Säulen getragen. Eine ist das integrierte Wissensmanagement. Es schützt vor dem Verlust wertvoller Fachkenntnisse, fördert ein kontinuierliches Lernen und gewährleistet einen reibungslosen Wissenstransfer zwischen den Mitarbeitergenerationen. Die zweite Säule ist der Automatisierungsprozess. Mittels RPA können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Routineaufgaben entlastet werden. Es bleibt ihnen mehr Zeit für strategische Aufgaben, die den tatsächlichen Wertbeitrag der Verwaltung ausmachen. Gleichzeitig senkt die Automatisierung die Fehlerquote. In Summe werden mittels RPA Ressourcen effizienter genutzt und die Dienstleistungs- und Servicequalität gesteigert. Die dritte Säule betrifft die Innovation und Wettbewerbsfähigkeit der Kommune. Zum einen entstehen durch die Automatisierung Mitarbeiterkapazitäten für Beratungs- und Projektaufgaben. Zum anderen ermöglichen die eingesetzten Technologien zur Wissenserfassung und Automatisierung eine flexible Anpassung an sich ändernde Bedürfnisse. Die Verwaltung kann also schneller auf Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen oder Bürgerbedürfnisse reagieren. „Das System ist darauf ausgelegt, mit der Zeit zu wachsen und sich an die Anforderungen anzupassen“, sagt Felix Broßmann, Partner und Geschäftsfeldleiter für Automatisierungs- und KI-Technologien beim Beratungsunternehmen SKAD. „Damit stellt ERAS eine nachhaltige Investition in die Zukunftsfähigkeit der Verwaltung dar.“

Umgesetzt wird das ERAS-Konzept in drei Phasen. Zunächst wird das bestehende Expertenwissen identifiziert, um es in der zweiten Phase verschriftlichen und dokumentieren zu können. In Phase drei werden Automatisierungspotenziale mittels KI und Automatisierungslösungen geprüft. Um das implizite Wissen zu erfassen, wurden für die prototypische Erprobung Interviews mit bis zu sieben Experten durchgeführt. Dabei wurden unter anderem rechtliche Grundlagen, definierte Aufgabenbereiche, Kompetenzen und Zuständigkeiten sowie Schulungsunterlagen und Assistenz- oder Wissensmanagementmethoden untersucht.

Iterativer Ansatz, skalierbares Ergebnis

Sebastian Jahn ist Projektmanager für KI-Projekte in der Kommunalverwaltung beim Beratungsunternehmen arf. Er beschreibt die Entwicklung und Umsetzung des ERAS-Projekts als eine spannende Herausforderung, bei der die Bedürfnisse der Verwaltung stets im Mittelpunkt standen. „Wir wollten eine Lösung schaffen, die wirklich etwas bewegt und die Menschen in ihrer täglichen Arbeit entlastet“, sagt Jahn. „Das Ziel war von Anfang an, nicht nur die Effizienz zu steigern, sondern auch das Fachwissen zu bewahren, das für die Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit der Verwaltung essenziell ist.“

Zum Projekterfolg trug wiederum die enge Zusammenarbeit zwischen den Fachabteilungen und der IT bei, wie Julian Heigenhauser, Leiter Digitalisierung im Landkreis Traunstein erklärt. „Nur durch die direkte Einbindung der Mitarbeiter konnten wir sicherstellen, dass ERAS auch tatsächlich im Arbeitsalltag akzeptiert und eingesetzt wird.“ Der iterative Ansatz habe es ermöglicht, ERAS Schritt für Schritt zu optimieren und so die bestmögliche Lösung gemessen an den Anforderungen der Verwaltung zu erreichen. „Wichtig war, dass unsere Mitarbeiter von Tag eins an in dieses Projekt eingebunden wurden“, berichtet Heigenhauser. „Gestartet sind wir im Bereich Gesundheitsamt, um erste Prozesse zu erheben. Weitere Potenziale sehen wir im Bau- und Sozialbereich und auch Planunterlagen könnten künftig automatisiert geprüft werden. Gleiches gilt für Anträge verschiedener Art und Rechtsgebiete. Bei der Verbescheidung des jeweiligen Antrags kann die Lösung unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter  ebenfalls entlasten. Es bleibt ihnen mehr Zeit, um die zunehmende Anzahl an Anträgen zu bearbeiten. Gleichzeitig wird der Bürgerservice verbessert, da die Durchlaufzeiten der Anträge kürzer sind.“

ERAS wurde gezielt entwickelt, um die Effizienz, Flexibilität und Krisenfestigkeit im Kreis Traunstein zu fördern. Von Anfang an wurde das System so konzipiert, dass es sich problemlos an weitere Prozesse und Anwendungsfälle anpassen lässt. Somit können auch andere Kommunen die skalierbare Lösung nutzen und direkt an deren Weiterentwicklung mitwirken. Ziel ist es, gemeinsam an einem praxiserprobten Fachverfahren zu arbeiten, das den individuellen Anforderungen unterschiedlicher Verwaltungsbereiche gerecht wird. In diesem kooperativen Ansatz profitieren alle Beteiligten von geteiltem Wissen und gesammelten Erfahrungen – ein Modell, das nicht nur komplett transparente Nutzen- und Kostenkontrolle bietet, sondern auch den Weg für eine zukunftssichere und bürgernahe Verwaltung ebnet.

Michael Reithmeier ist Pressesprecher im Landratsamt Traunstein. 




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