[7.3.2017] Das Schlagwort No-Government ist nicht wörtlich zu nehmen: Ziel ist es nicht, die Verwaltung komplett abzuschaffen, vielmehr soll diese durch den Abbau von Bürokratie und die Einführung schlanker, digitaler Verfahren effizienter werden.
No-Government im Wortsinn, also „keine Verwaltung, keine Regierung“, würde aufgrund zahlloser individueller Abstimmungsprozesse Chaos und Ineffizienz und im Ergebnis Ungerechtigkeit bedeuten. Das ist allen ernsthaften Befürwortern dieses Prinzips klar. No-Government meint daher vielmehr: Nichts regeln, was nicht geregelt werden muss. Konkret bedeutet das insbesondere, dass neue Regelungen und Verfahren, die im praktischen Einsatz keine nachvollziehbare Verbesserung gegenüber dem Ausgangszustand bewirken, überflüssig sind. Im Hinblick auf das beabsichtigte Ziel ist es ineffizient, sie überhaupt zu erarbeiten.
Besonders bei überregionalen Regelungen und Verfahren, die vielfältige Interessengruppen unter einen Hut bringen müssen und deren Festlegung sich häufig über einen langen Zeitraum hinzieht, droht die Gefahr, Ziel und Zweck aus den Augen zu verlieren oder durch notwendige Kompromisse zu verfehlen. Ebenso sind auf kommunaler Ebene allerdings auch Beispiele von Überregulierung zu beobachten, die mehr Aufwand für die Adressaten und die Verwaltung verursachen, in der Sache aber nur wenig Wirkung entfalten.
Regulierung nicht um ihrer selbst willen
Ein Wechsel zur Perspektive der Bürger und Unternehmen ist also notwendig. Niemand hat ein Interesse an Regulierung und Verfahren um ihrer selbst willen. Sie werden hingenommen, wenn ihr Ziel akzeptiert wird und mit diesen Mitteln eine Verbesserung erreicht werden kann. Eine gute Verwaltung zeichnet sich also gerade dadurch aus, dass sie nicht für alles detailliierte Regelungen und Verfahren hat, wenn dies einen unverhältnismäßig hohen Aufwand für die Betroffenen oder wenig praktischen Nutzen zur Folge hat.
Die Konsequenz muss zunächst eine realistische, gesamtgesellschaftliche Aufwand-Nutzen-Analyse für geplante wie bestehende Regelungen und Verfahren sein, die auch die Nicht-Regelung und aufwandsarme Lösungen einbezieht. Ein Beispiel für die Anwendung des No-Government-Prinzips ist das 2. Mittelstandsentlastungsgesetz, mit dem aufwendige Auskunftspflichten aufgehoben oder reduziert wurden. Ein solches Vorgehen schmälert weder die Bedeutung noch das Ansehen der Verwaltung: Weniger oder schlankere Verfahren erleichtern es ihr, die verbleibenden Tätigkeiten sorgfältig, zeitnah und serviceorientiert auszuführen. Akzeptierte Regelungen und Verfahren werden bereitwilliger befolgt und eine effektive Verwaltung erfährt eine deutlich höhere gesellschaftliche Wertschätzung.
Konzepte für eine effektive Verwaltung
Im Umfeld von No-Government gibt es eine ganze Reihe von Konzepten für eine effektive, effiziente und nutzerorientierte Verwaltung, die ebenfalls mit pointierten englischsprachigen Begriffen bezeichnet werden. „One in, one out“ oder – ambitionierter – „one in, two out“ zielt im Wesentlichen darauf ab, den Gesamtaufwand für Bürger und Unternehmen nicht steigen zu lassen: Neue Regelungen und Verfahren dürfen nur dann eingeführt werden, wenn dafür andere wegfallen. Um für ein solches, plakatives Vorgehen allerdings genug sinnvollen Spielraum zu haben, ist eine ressort- und ebenenübergreifende Betrachtung für große, repräsentative Bevölkerungs- und Unternehmensgruppen erforderlich. Daher kommt auch diesem Konzept in der Realität eher die Rolle eines Prinzips zu: Insbesondere bei der Einführung neuer Regelungen und Verfahren ist zu prüfen, ob sie bestehende entbehrlich machen. Ist dies der Fall, ist allerdings auch eine konsequente Umsetzung erforderlich.
Lean Government bezeichnet hingegen den Anspruch, den verwaltungsinternen Aufwand zu reduzieren, indem moderne Arbeits- und Organisationsformen unter Nutzung von Digitalisierung und Automatisierung eingesetzt werden. Daraus ergeben sich auch positive Effekte für Bürger und Unternehmen, wenn dadurch zum Beispiel Abläufe beschleunigt werden.
Unter Servicegesichtspunkten spielen der One-Stop-Shop und der No-Stop-Shop eine zentrale Rolle. Beim One-Stop-Shop gibt es zumindest für Lebens- und Unternehmenslagen, aber besser noch für alle Verwaltungsanliegen einen einzigen Ansprechpartner oder ein gemeinsames Online-Portal. Der Ansprechpartner ist für die etwaige Weiterleitung an Fachmitarbeiter zuständig. Für ein Online-Portal, das als One-Stop-Shop organisiert ist, müssen nicht alle unterstützten Anliegen unter derselben fachlichen Hoheit stehen. Sie müssen jedoch alle über das Portal leicht auffindbar sein, sich dem Benutzer in einheitlicher Weise präsentieren und das Navigieren zwischen den Anliegen muss problemlos möglich sein. Beim No-Stop-Shop wird die Verwaltung initiativ tätig und stößt zwangsläufige oder in einer bekannten Lebenslage übliche Verfahren an. Zu denken ist hier etwa an Kindergeld, Einschulung oder Altersrente. Fehlende Angaben oder Unterlagen werden dabei durch die Verwaltung angefordert.
Single-Sign-on und Once-only
Bei der Online-Interaktion mit der Verwaltung sind zwei weitere Konzepte wesentlich: Single-Sign-on und Once-only. Das Single-Sign-on ermöglicht die einmalige, übergreifende Identifizierung und Authentifizierung gegenüber der gesamten Verwaltung. Sie gilt dann für alle Anliegen der aktuellen Sitzung, unabhängig davon, wer für ein Anliegen zuständig ist. Das erfordert zumindest ein gemeinsames Verständnis aller zusammenarbeitenden Stellen bezüglich des Sicherheitsniveaus der eingesetzten Authentifizierungsmethoden sowie interoperable Authentifizierungssysteme oder ein einheitliches System. Once-only bezieht sich auf die lediglich einmalige Erfassung von Daten und Dokumenten, die – unter Wahrung des Datenschutzes – anschließend für beliebige Verwaltungsverfahren verfügbar sind oder individuell freigegeben werden können. Once-only bietet zudem die Basis für weitergehende Aufwandsreduzierungen, indem beispielsweise die Korrektheit von Daten nur von einer Behörde geprüft und das Ergebnis den Daten als Beglaubigung beigefügt wird. Single-Sign-on und Once-only stehen in engem Zusammenhang mit den aktuell diskutierten Servicekonten für Bürger und Unternehmen.
Digital-by-Default wiederum ist ein übergeordnetes, nicht-technisches Organisationsprinzip, das die elektronische Bereitstellung von Verwaltungsdienstleistungen in den Vordergrund stellt. Das bedeutet nicht, dass andere Formen nicht mehr angeboten werden, sondern dass es stets eine möglichst vollständige elektronische Form gibt, die Bürger und Unternehmen weitgehend von der Benutzung anderer Formen entlastet.
Diese keiner Verwaltungssystematik folgende Auswahl zeigt, dass es viele ernst zu nehmende Prinzipien und Konzepte für eine wirkungsvolle, serviceorientierte Verwaltung gibt – darunter solche, die auf den ersten Blick unrealistisch erscheinen. Auch No-Government will die Verwaltung nicht abschaffen, sondern den Fokus auf neue Perspektiven lenken. Diese Herausforderung ist es wert, angenommen zu werden.
Gabriele Goldacker ist Mitarbeiterin im Kompetenzzentrum Öffentliche IT des Fraunhofer-Instituts für Offene Kommunikationssysteme FOKUS, Berlin.
http://www.oeffentliche-it.de/trendschauDieser Beitrag ist in der März-Ausgabe von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)
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One Stop Government
Bildquelle: PEAK Agentur für Kommunikation