[26.6.2023] Behörden stehen durch demografischen Wandel und digitale Transformation unter Konkurrenzdruck. Nicht immer ist die Umstellung auf agile Arbeitsweisen die Lösung. Neue Methoden sind daher mit Bedacht und unter Beteiligung der Mitarbeitenden einzuführen.
Arbeitswelt und Gesellschaft sind in einer Weise komplex geworden, dass mittlerweile der Ausnahmefall schon als Normalfall gewertet werden kann. Was der Soziologe Armin Nassehi bereits vor über zehn Jahren feststellte, kommt so langsam auch in den deutschen Behörden und Organisationen an: Krisen und Herausforderungen gehören zum Alltag dazu.
Die Dauerkrise des demografischen Wandels, geprägt durch eigentlich sehr gut vorhersagbare Entwicklungen, verändert die Struktur der Belegschaften nachhaltig. Sie sind durch weniger Jüngere und deutlich mehr Ältere gekennzeichnet. Das führt zu einem kontinuierlichen Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, was auch die Bevölkerungsvorausberechnungen des Statistischen Bundesamts anschaulich zeigen. Zum einen ist die Erwerbsbevölkerung im Schnitt deutlich älter geworden und verschiedene Generationen mit zum Teil unterschiedlichen Wertevorstellungen treffen bei der Zusammenarbeit aufeinander. Zum anderen sind deutlich weniger Personen am Arbeitsmarkt verfügbar, sodass es Verwaltungen und Unternehmen in bestimmten Bereichen bereits heute mit einem deutlichen Mangel an Fachkräften und Talenten zu tun haben.
Prognosen zum Fachkräftemangel
Prognosen sagen im öffentlichen Sektor bis 2030 einen Fachkräftemangel von über 800.000 freien Stellen voraus. Das führt einer McKinsey-Studie zufolge auch zu einer erschwerten Besetzung der mittleren Führungsebene im öffentlichen Sektor für Zukunftsinitiativen wie zum Beispiel die Umsetzung der digitalen Transformation. Diese Transformation ergibt sich durch eine stetige Weiterentwicklung digitaler Technologien und unterscheidet sich vom zeitgleich stattfindenden demografischen Wandel. Bei einer Transformation handelt es sich um tiefergreifende Veränderungen in Unternehmen und Organisationen, bei denen etablierte Strukturen, Rollen und Verhaltensweisen derart verändert werden, dass sie über einfache Anpassungen und kontinuierliche Entwicklungen hinaus gehen. Wenn Veränderungen äußerst durchgreifend sind und starke Einschnitte innerhalb kürzester Zeit mit sich bringen, wird von Disruption gesprochen. Es handelt sich um radikale Umbrüche, durch die in einem wirtschaftlichen Umfeld vieles nicht mehr so ist wie früher. Dabei kann es sich in Bezug auf einzelne Geschäftsmodelle etwa um eine neue Technologie handeln, die eine andere vollständig ersetzt, wie beim Aufkommen der Digitalkamera oder auch für bestimmte kommunikationsgesteuerte Bereiche die neue KI-Anwendung ChatGPT.
Die zunehmend komplexe und vernetzte Welt, die auch durch die digitale Transformation gekennzeichnet ist, wird gern unter dem Begriff VUCA zusammengefasst. Die Abkürzung steht für Volatility (Unbeständigkeit), Uncertainty (Ungewissheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit). Diese vier Einflussfaktoren sind insbesondere durch die Corona-Pandemie prävalent geworden. Innerhalb kurzer Zeit mussten sich Organisationen aufgrund gravierender Veränderungen – wie die gesetzlich vorgeschriebene Isolationspflicht, global bestehende Lieferengpässe und psychologische Belastungen im Team – an eine Situation anpassen, die sich für die meisten Menschen wie auch für Unternehmen und Behörden äußerst überraschend einstellte. Die somit partiell forcierte Nutzung digitaler Tools zur Sicherung der Leistungsfähigkeit von Individuum, Team und Unternehmen ging mit einem Beschleunigungsschub für die digitale Transformation einher.
Art und Weise der Arbeit im Umbruch
Dabei stehen vor allem Veränderungen in der Art und Weise der Zusammenarbeit im Vordergrund. Insbesondere die Art wie, wann und wo die Arbeit erledigt werden kann, ändert sich radikal. Führungskräfte und das Personal-Management sind dabei entscheidend betroffen, da sie solch eine steigende Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort sowie Veränderungen in den Arbeitsprozessen und der Arbeitsweise mitzugestalten haben.
In einer Lage, die von Fachkräftemangel und veränderten Ansprüchen der nachwachsenden Generation geprägt ist, gehört die Etablierung neuer Strukturen und Methoden, die flexibel und viel individueller als zuvor auf die Bedürfnisse einzelner Personen eingehen, mit dazu. Agiles Arbeiten – von Gewandtheit, Wendigkeit oder Beweglichkeit von Organisationen und Personen – erscheint vielen dabei als geeignete Lösungsmöglichkeit; obwohl auch hier Herausforderungen bestehen und nicht jede agile Methode zu jeder Situation passt. Agilität als Fähigkeit, bei Veränderungen schnell und proaktiv handeln zu können, gilt vielerorts jedoch als Mittel der Wahl zur Bewältigung der beschriebenen Herausforderungen.
Agilität unterstützt Innovationsprozesse
Agilität kann dabei sowohl auf einzelne Personen wie auch auf Abteilungen oder Organisationen bezogen werden. Agile Methoden können vor allem bei Innovationsprozessen unterstützen, beispielsweise bei der Projektarbeit durch eine dauernde, rhythmische Abfolge von Planen, Prüfen und Anpassen. Hierfür muss das Projekt-Team auch offen für etwaige Fehler und deren unkomplizierter Korrektur sein. Das Erfahrungswissen von älteren Beschäftigten kann dabei eine wertvolle Ressource sein.
Agilität ist aber auch mit bestimmten Umgangsformen verknüpft und erfordert eine Kommunikation auf Augenhöhe. Insbesondere in hierarchisch organisierten Behörden könnte dies ein Novum in der Art und Weise der Personalführung sein. Möchten sich öffentliche Verwaltungen als Gestalter gesellschaftlicher Lösungen und als attraktiver, moderner Arbeitgeber für umkämpfte Talente auf dem Arbeitsmarkt präsentieren, sollten sie altersgemischte, crossfunktionale Teams bilden, mit Änderungen und auch mal unfertigen Teilergebnissen experimentieren sowie sich regelmäßiges Feedback von innen und außen verschaffen.
Agilität ist keine Universallösung
Das Forum agile Verwaltung hat hierzu eine Vielzahl an lesenswerten Ideen entwickelt. Wichtig ist bei aller Begeisterung für agile Methoden jedoch, dass jede Organisation immer abwägen sollte, inwiefern und in welchem Ausmaß die Umstellung auf agile Arbeitsweisen für die Organisationseinheit Vorteile bieten kann – oder auch andere Lösungen infrage kommen. Eine überstürzte Einführung agiler Arbeitspraktiken sollte nach Möglichkeit vermieden werden. Bei einfachen und stabilen Gegebenheiten bringen agile Techniken nicht unbedingt immer nur Vorteile.
Abschließend sei noch die wichtige Rolle der Führungspersonen betont. Insbesondere in Situationen zunehmenden Wettbewerbs und steigender Unsicherheit sowie der wachsenden Herausforderung, Mitarbeitende im Unternehmen zu halten, setzen Wirtschaftsunternehmen immer mehr auf positive Effekte durch neu definierte und nach Außen kommunizierte Personalführung. Aus der Forschung ist bekannt, was gute Führung ausmacht: Das Team an Veränderungen beteiligen, also Partizipation und Einfluss möglich machen, Mitarbeitenden Freiraum zu gewähren und Transparenz über Entscheidungen herzustellen. In der direkten Zusammenarbeit ist es wichtig, eine individuelle Beziehung aufzubauen und ein echtes Team-Gefühl zu schaffen. Diese Beziehungsarbeit kann auch in disruptiven Zeiten nicht von einer Künstlichen Intelligenz übernommen werden.
Prof. Dr. Leena Pundt ist Professorin für Personal-Management an der Hochschule Bremen.
https://www.agile-verwaltung.orgDieser Beitrag ist in der Ausgabe Juni 2023 von Kommune21 im Schwerpunkt Personalwesen erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)
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