REPORT:
Open Data in der Internet-Hauptstadt


Starkes Eigentumsgefühl
Generationswechsel
Unklare Geschäftsmodelle

[13.6.2012] Beim 2. Berlin Open Data Day zeigten einige praktische Beispiele das Potenzial von offenen Verwaltungsdaten. Weiterhin unklar sind die Geschäftsmodelle und der Umgang mit kritischen Daten.

Berlin diskutiert über offene Daten. Alles könnte so einfach sein. Man zückt das Smartphone, ruft eine App auf und ist in Echtzeit mit dem Termin- und Zeit-Management-System des Landes Berlin verbunden. Dort erfährt man die Wartezeiten in den Bürgerämtern. 34 Minuten würde man in Pankow auf der Wartebank sitzen, bis man an einen Schalter vorgelassen wird, um beispielsweise seine Wohnung abzumelden. In Zehlendorf beträgt die Wartezeit vielleicht nur vier Minuten. Lohnt sich der Weg dorthin? Philip Mangelow, Student der Verwaltungsinformatik, demonstrierte auf dem 2. Berlin Open Data Day (BODDy) am 6. Juni 2012 im Berliner Roten Rathaus den praktischen Nutzen seiner Anwendung. Er hat die App in Zusammenarbeit mit dem IT-Dienstleistungszentrum Berlin (ITDZ Berlin) im Rahmen einer Semesterarbeit programmiert. Nun will der Student noch den Zugriff auf die Terminvereinbarung integrieren. Berliner können seit einiger Zeit via Internet einen Termin im Bürgerbüro buchen. Mangelows App funktioniert einwandfrei. Kleiner Haken: Sie wird in absehbarer Zeit nicht veröffentlicht. Um die Wartezeiten zu erfahren, muss der Bürger weiterhin aufs Amt.
Das Beispiel veranschaulicht das Dilemma: Auf der einen Seite gibt es insbesondere an Hoch- und Fachhochschulen viel kreatives Potenzial unter den Studierenden, denen eine praktische Anwendung zu programmieren mehr Spaß macht als eine theoretische Auseinandersetzung. Auf der anderen Seite gibt es wertvolle Daten aus vielen Fachverfahren, auf denen die Behörden sitzen wie auf einem Märchenschatz. Open Data will beides zusammenbringen. In Berlin ist man auf einem guten Weg.

Starkes Eigentumsgefühl

Einen „Mentalitätswechsel hin zu Open Data“ fordert Björn Böhning, Chef der Berliner Senatskanzlei, und stellt fest, „dass die Daten, die sich im Internet befinden, oft nicht gefunden werden“. Im September vergangenen Jahres hatten die Berliner Behörden die ersten Verwaltungsdaten zur freien Weiterverwendung ins Netz gestellt. Dazu wurde ein eigenes Datenportal eingerichtet, das mit jeweils 100.000 Euro Unterstützung in diesem und im nächsten Jahr bald in den Regelbetrieb gehen soll. Über achtzig Datensätze sind inzwischen vorhanden. Nutzer haben daraus einige Anwendungen wie Wheelmap, eine Karte mit barrierefreien Orten, oder Ozon Sonar, eine Übersicht der aktuellen Ozonwerte, entwickelt. Die tageszeitung (TAZ) ist mit einer Fluglärmkarte für den künftigen Flughafen BBI vertreten. Das Berliner Amt für Statistik hat im Mai eine KiezDaten-App für das iPhone entwickeln lassen, mit der sich die Sozialstrukturdaten und Wahlergebnisse von 400 Planungsräumen im Berliner Stadtgebiet anzeigen lassen.
Bevor Berlin jedoch zur Internet-Hauptstadt wird, wie Björn Böhning ankündigt, muss noch einiges passieren. Dieser Status wäre nur im Kontext von Open Government denkbar, wie es auch in der Koalitionsvereinbarung der beiden Berliner Regierungsparteien SPD und CDU steht. Das bedeutet: mehr Transparenz, mehr Teilhabe und Zusammenarbeit sowie die Öffnung von Politik und Verwaltung gegenüber den Bürgern und der Wirtschaft. Nicolas Zimmer, Staatssekretär für Wirtschaft, Technologie und Forschung, ist zuversichtlich: „Wir wollen die Daten der öffentlichen Hand der Öffentlichkeit zurückgeben“, verkündete er auf dem Open Data Day. Dazu sei jedoch ein Strukturwandel notwendig: „Die Verwaltung ist es gewohnt, Informationen zu sammeln, und sie hat ein traditionell starkes Eigentumsgefühl.“ Aus Sicht der Wirtschaft läge in den Verwaltungsdaten ein großes Potenzial, weil daraus neue, gewinnbringende Geschäftsmodelle entstehen könnten. Laut Zimmer sei es deswegen Erfolg versprechender noch mehr Daten freizugeben, als die gewohnte Subventionspolitik zu betreiben.

Generationswechsel

Innerhalb der Berliner Volksparteien vollzieht sich gerade ein Generationswechsel, was sich an dem Bekenntnis zu Open Data ablesen lässt – die Piratenpartei einmal außer Acht gelassen. Doch nicht nur an der Spree, sondern auch beim Bund ist Open Data auf dem Vormarsch. Für Ende 2013 ist ein deutschlandweites Open-Data-Portal angekündigt, das alle freien Daten auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene in einem Zentralkatalog auflisten soll.
Im Januar 2012 hatte das Bundesinnenministerium den Auftrag für eine Studie über „Open Government Data Deutschland“ an das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS vergeben. Die Studie soll technische, rechtliche und organisatorische Fragen von Open Government klären. Auch in Fragen der Lizenzpolitik und der „Geldleistungsmodelle“, wie Uta Dauke, die Projektverantwortliche im Bundesministerium des Innern, es beschreibt, besteht noch Klärungsbedarf. Ein Eckpunktepapier, das sich auf erste Ergebnisse stützt, befindet sich gegenwärtig in der Phase der öffentlichen Konsultation. Bürger können im Internet Kommentare und Vorschläge einreichen (wir berichteten). Auf europäischer Ebene ist ein Crowdsourcing-Wettbewerb in Planung, der ermitteln soll, welche Daten von Bürgern und der Wirtschaft verlangt werden.

Unklare Geschäftsmodelle

Vom vermutlich schlagkräftigsten Argument – funktionierenden Geschäftsmodellen – war auf dem Berliner Open Data Day hingegen wenig zu hören. Vielleicht ist es dazu ja noch zu früh. Thibault Kleiner, Abgesandter der EU-Kommission, beschwörte zwar das „große ökonomische Potenzial“ von Open Data. Auf welchen Faktoren die von der EU ermittelte Summe von 140 Milliarden Euro Wertschöpfung bis 2020 beruht, ließ er jedoch offen. Die Verwaltungen wären sicherlich leichter vom Nutzen von Open Data zu überzeugen, wenn sich sprudelnde Einnahmen ankündigen würden. Ihr zögerliches Verhalten und die ängstliche Frage, wer denn die Kosten für die Bereitstellung und Umwandlung von Daten in eine maschinenlesbare Form übernimmt, ist ein Ausdruck dieser Ungewissheit.
Ebenfalls ungeklärt ist, wie man mit kritischen Daten umgeht. Die Beispiele der Werkschau auf dem Open Data Day mögen alle nützlich sein: Die Suchmöglichkeit nach Themenbeiträgen von Abgeordneten auf OffenesParlament.de ist ein großartiges Recherche-Tool. Und die Visualisierung der (Un-)Pünktlichkeit der Berliner S-Bahn auf Opendatacity.de ein anschauliches Beispiel für das Potenzial von Open Data. Solange jedoch etwa der Kriminalitätsatlas und die schulbezogenen Ergebnisse der PISA-Studie unter Verschluss gehalten werden – aus vielleicht berechtigter Angst vor Diskriminierung – ist man von Open Government noch weit entfernt. Es mangelt hier an einer öffentlichen Auseinandersetzung, welche Daten für die Öffentlichkeit bestimmt sein sollen und welche nicht. Zumindest wäre es nicht im Sinne von Open Government, wenn diese Entscheidung – wie bisher – allein verwaltungsintern gefällt wird.

(Helmut Merschmann)

http://daten.berlin.de
Berliner Open-Data-Strategie (PDF; 6,3 MB) (Deep Link)
Berliner Handlungsempfehlungen für Nachhaltigkeit bei Open Data (Deep Link)

Stichwörter: Open Government, Open Data, Berlin Open Data Day (BODDy), Berlin

Bildquelle: daten.berlin.de

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