Big Data:
Digital auswertbare Bürger


[3.11.2016] Behörden verfügen über immer größere Datenbestände. Mithilfe von Big-Data-Analysen könnte dieser Rohstoff für ein effektiveres Verwaltungshandeln genutzt werden. Technisch ist das machbar. Wie weit aber kann der öffentliche Sektor davon Gebrauch machen?

Digitale Spuren verraten viel über den Internet nutzenden Bürger. Die Privatwirtschaft gewinnt aus digitalen Massendaten längst wertvolles Wissen über Konsumenten, um damit die Wertschöpfung von Kundenbeziehungen zu optimieren. Auch im öffentlichen Sektor generiert der digitale Wandel immer größere Datenmengen. Doch welche ethischen Maßstäbe geben Orientierung bei der Nutzung dieser Informationen für ein verbessertes Verwaltungshandeln?
Ob Google-Suche, Facebook-Like oder Smartphone-Zahlung: Fast jede Online-Aktivität hinterlässt digitale Spuren. Solche Datenspuren sind bei Unternehmen heiß begehrt, weil sie erstaunlich präzise Aussagen zum aktuellen und künftigen Bedarf eines jeden Verbrauchers gestatten. Die digitale Vermessung des täglichen Konsumverhaltens schafft die Grundlage für maßgeschneiderte Angebote mit dem Ziel, das individuelle Umsatzpotenzial der Kunden so weit wie möglich auszuschöpfen. Jeder kennt die personalisierten Vorschläge beim Online-Händler, die ein Algorithmus von sich aus unterbreitet – etwa zur neuen Waschmaschine den passenden Anschlussschlauch. Gleichwohl: Moderne Analytics-Anwendungen gehen über einfache automatische Zusatzangebote, die meist nur Cookies im Browser auswerten, weit hinaus.

Wissensvorsprung im Wettbewerb

Die neue Qualität so genannter Data-Science-Analysen entsteht vor allem aus der Verknüpfung unterschiedlichster Datenbestände, zwischen denen es auf den ersten Blick keinen inhaltlichen Zusammenhang zu geben scheint. Dieser Eindruck täuscht. Denn aus der Zusammenführung scheinbar fernliegender Informationsquellen ergibt sich oftmals neues Wissen, das in dieser Form aus den Einzelquellen nicht abzuleiten wäre. Die Algorithmen beim Online-Händler erkennen dann nicht nur, dass ein Kunde eine neue Waschmaschine samt Zubehör benötigt, sondern auch warum. Denn andere Netzaktivitäten, wie die Suche nach einer kleineren Wohnung, lassen bei bestimmten Altersgruppen auf eine veränderte Lebenssituation nach einer Trennung schließen. Eventuell bietet das Immobilienportal per Cross-Selling zur Wohnung auch gleich ein Singlebörsen-Abo an. In der Wirtschaft folgt die Nutzung digitaler Daten einer dezidiert ökonomischen Logik: Unternehmen streben im Wettbewerb einen Wissensvorsprung an. Sie wollen einen Mehrwert aus den gesammelten Informationen generieren und ihre Marktposition stärken. Entsprechend groß ist der Anreiz, das technisch Mögliche auch in die Tat umzusetzen. Die anhaltende Debatte um den gläsernen Konsumenten illustriert, dass in der Gesellschaft erhebliche Unsicherheiten im Hinblick auf den digitalen Persönlichkeitsschutz und dessen ethisches Wertefundament bestehen. Dies zeigt sich unter anderem in der EU-Datenschutz-Grundverordnung, die auch das Recht auf ein digitales Vergessenwerden festschreibt. Parallel dazu gibt es in der Wirtschaft erste Ansätze zur Selbstregulierung – zum Beispiel die Digital Analytics Association (CAA), deren Code of Ethics zentrale Anforderungen an die Erhebung und Auswertung von Konsumentendaten formuliert.

Das technisch Machbare ausreizen?

Im Zuge der Digitalisierung verfügen auch Ämter und Behörden über immer größere Datenbestände. Die Existenz ausgereifter Technologien zur effizienten Speicherung, Verknüpfung sowie prädiktiven Analyse personenbezogener Daten wirft somit auch in Kommunalverwaltungen die Frage auf, inwieweit das technisch Machbare in die Praxis umgesetzt werden soll. Während Online-Händler für ihre Analysen oftmals auf Schätzungen und so genannte Indikatorvariablen angewiesen sind, können kommunale Behörden auf deutlich präzisere, aber auch sensiblere Individualdaten zurückgreifen – in Bezug auf Einkommen, Bildungsbiografie, Sozialleistungsbezug, Suchtverhalten, Straffälligkeit, Mobilität oder Gesundheitszustand. Die zumindest partielle Zusammenführung und Analyse solcher Daten eröffnet große Chancen zur Verbesserung der Ergebnisqualität und Wirksamkeit kommunalen Handelns. Eine Reihe von Ansätzen wird schon seit Längerem unter dem Stichwort Smart Cities diskutiert. Besonders eindrucksvolle Beispiele für das Potenzial von Data Analytics in der öffentlichen Hand liefern Nutzungen in der Betrugsbekämpfung. Je höher die Risiken einer bestimmten Verwaltungsaufgabe, desto größer ist für staatliche Stellen der Anreiz, das technisch Mögliche auszureizen. Wer würde beispielsweise dagegen protestieren, dass Steuerbetrüger oder Mehrfachbezieher von Fördermitteln via Data Science entlarvt und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden? Aus ethischer Sicht gibt es keineswegs nur Vorbehalte gegen den behördlichen Einsatz moderner Analytics-Anwendungen: Bei Gefahr für Leib und Leben erscheint es im Gegenteil ethisch geboten, verfügbare Technologien zur Abwehr solcher Gefahren nicht ungenutzt zu lassen. So ist es heute zum Beispiel kaum noch hinnehmbar, dass Jugendämter in Fällen akuter Kindeswohlgefährdung inaktiv bleiben – einfach, weil die notwendigen Informationen aus verschiedenen Behörden nicht schnell genug zu nutzbarem Wissen zusammengeführt werden können. Polemisch zugespitzt ließe sich sagen, dass die betroffenen Kinder hier vor zu viel Datenschutz geschützt werden müssen.

Hilfe bei der Bewertung

Polemik ist allerdings kein guter Ratgeber, wenn es um die schwierige Abwägung zwischen widerstreitenden Werten und Zielen geht. Verschärft wird das ethische Big-Data-Dilemma noch durch die zunehmend hohe Auflösung personenbezogener Informationen in digitalisierten Behörden – zumal die Datenspeicherung dort nur selten nach dem Freiwilligkeitsprinzip erfolgt. Vieles spricht dafür, ähnlich wie bei ethischen Problemen in Medizin und Naturwissenschaften, beim Verwaltungseinsatz von Big Data begleitende Institutionen nach dem Vorbild des Deutschen Ethikrats zu etablieren. Immerhin brachte dieses Gremium mehr Klarheit in den gesellschaftlichen Diskurs über viele offene Fragen, etwa zur Sterbehilfe oder Stammzellenforschung. Im kleineren Rahmen können kommunale Behörden auch teilstandardisierte Bewertungswerkzeuge als Entscheidungshilfe zurate ziehen – zum Beispiel bei der operativen Architekturplanung für IT-Projekte, die auch Optionen zu weitergehenden Analytics-Anwendungen eröffnen. Hilfreich können hier Reifegradmodelle sein oder auch ein Vorgehen nach dem Common Assessment Framework. Als bewährtes Tool für das Ethik-Assessment empfiehlt sich unter anderem die so genannte Potter Box: Eine klare Strukturierung nach den vier Dimensionen Faktenbasis, Werte, Ethikprinzipien und Loyalitäten erleichtert es, das ethische Problem aus einer gleichsam allgemein-philosophischen Sphäre auf den konkreten Einzelfall herunterzubrechen. Überdies liefert die Potter Box eine detaillierte, auch für Dritte nachvollziehbare Dokumentation der Entscheidungsfindung. Ergänzend dazu können Ethik-Kodizes wie der von CCA einen Grundstock allgemein anerkannter ethischer Prinzipien in den Entscheidungsprozess einbringen.

Maciej Dabrowski ist Senior Manager bei Sopra Steria Consulting, München.

Dieser Beitrag ist in der November-Ausgabe von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: IT-Sicherheit, Big Data, Datenschutz

Bildquelle: PEAK Agentur für Kommunikation

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