Interview:
Das OZG nachschärfen


[27.10.2023] Noch immer wird über ein Änderungsgesetz zum Onlinezugangsgesetz beraten, nachdem der erste Gesetzentwurf im Februar viele kritische Stimmen auf sich zog. Jonas Botta vom Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung hat sich mit einer Stellungnahme eingebracht und schildert im Gespräch den gegenwärtigen Diskussionsstand.

Jonas Botta Herr Botta, trotz Onlinezugangsgesetz (OZG) und mehr als fünf Jahren konzertierter Arbeit an der Verwaltungsdigitalisierung ist Deutschland längst nicht so weit wie vorgesehen. Woran liegt das?

Lassen Sie mich zunächst einmal betonen, dass es sehr erfreulich wäre, wenn sich auch der Gesetzgeber und die Verwaltung diese Frage noch vehementer stellen würden. Denn eine umfassende Evaluation der OZG-Umsetzung steht bis heute aus. Zur Beantwortung Ihrer Frage möchte ich vor allem die rechtlichen Herausforderungen in den Fokus rücken. Zum einen verlangt die föderale Zusammenarbeit bei der OZG-Umsetzung ein besonderes Augenmerk auf verfassungs-, datenschutz- und vergaberechtliche Fallstricke. Zum anderen sind viele Fachgesetze bislang nicht ausreichend digitaltauglich. Insbesondere die unterschiedliche Bedeutung von Begriffen – etwa der Einkommensbegriff – und die weiterhin existierenden Schriftformerfordernisse bremsen die OZG-Umsetzung aus. Außerdem hat die Regelung des Onlinezugangs zur Verwaltung nicht automatisch dazu geführt, dass die daran anschließenden Abläufe innerhalb der Verwaltung selbst digitaler geworden wären. Einer flächendeckenden Digitalisierung stehen zudem fehlende Standards und Schnittstellen in der digitalen Infrastruktur entgegen. Erst eine moderne Registerlandschaft kann den reibungslosen Datenaustausch zwischen öffentlichen Stellen gewährleisten.

Auf das gescheiterte OZG folgte im Februar ein Gesetzentwurf mit Änderungsvorschlägen, der von vielen Stakeholdern als unzureichend aufgefasst wurde. Welche wesentlichen Gründe wurden dabei angeführt?

Die Kritik – vor allem des Normenkontrollrats – am damaligen Referentenentwurf des OZG-Änderungsgesetzes richtete sich vornehmlich gegen den Verzicht auf eine neue Fristsetzung und das Fehlen eines Rechtsanspruchs auf digitale Verwaltungsleistungen. Auch zu Open Source Software und offenen Standards sowie Schnittstellen hatte der erste Aufschlag aus dem Bundesministerium des Inneren noch geschwiegen, was in der Fachwelt auf Unverständnis stieß. Dass diese Kritik zumindest teilweise Früchte getragen hat, lässt sich dem aktuell im Bundestag beratenen Gesetzentwurf entnehmen.

Sie haben sich ebenfalls mit einer Stellungnahme zum Entwurf des OZG-Änderungsgesetzes beim Ausschuss für Inneres und Heimat beteiligt.

Ein Schwerpunkt meiner wissenschaftlichen Arbeit ist die digitale Verwaltungstransformation. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass eine digitale Verwaltung entscheidend für einen effektiven Zugang zu staatlichen Leistungen ist. Daher trage ich gern mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln zu einer Optimierung der digitalen Verwaltungstransformation bei. Erster Adressat dafür ist gegenwärtig der Bundestag beziehungsweise sein Innenausschuss. Wie schon das „Strucksche Gesetz“ besagt, kommt nichts so aus dem Bundestag heraus, wie es hineingekommen ist. Jetzt ist die Gelegenheit, die entscheidenden Weichen für die kommenden Jahre zu stellen. Noch ist es nicht zu spät, das OZG-Änderungsgesetz nachzuschärfen.

Apropos „nachschärfen“: In welchen Punkten ist das OZG-Änderungsgesetz aus Ihrer Perspektive nicht ausreichend klar?

Aus meiner Sicht bedarf es insbesondere fünf Änderungen: Erstens sollte das OZG eine oder mehrere – etwa nach Priorität gestaffelte – Nachfristen für seine Umsetzung beinhalten. Denn ohne Fristsetzung fehlte der notwendige gesetzgeberische Druck für den Erfolg der digitalen Verwaltungstransformation. Zweitens sollte es ein Recht auf digitale Verwaltungsleistungen geben – wie es zum Beispiel der Artikel 12 im Bayerischen Digitalgesetz vorsieht. Dabei ist die Handlungsfähigkeit der Länder und Kommunen zu wahren. Drittens sollte ein OZG-Änderungsgesetz verbindliche Kriterien für das Monitoring und die Gesetzesevaluation festlegen und beide Aufgaben einer unabhängigen Stelle übertragen. Bislang zeichnet sich die OZG-Umsetzung durch ein erhebliches Transparenzdefizit aus. Viertens sollte das Datenschutzcockpit optimiert werden, damit auch die Registermodernisierung transparent erfolgen kann und die antragstellenden Personen immer nachverfolgen können, welche ihrer Daten benutzt werden. Fünftens sollte das OZG gewährleisten, dass wirklich alle Menschen in Deutschland digitale Verwaltungsleistungen nutzen können. Bislang ist dies beispielsweise den fast zwei Millionen Menschen ohne elektronischen Aufenthaltstitel verwehrt, was der digitalen Teilhabe und einer Entlastung der Verwaltung entgegensteht.

Die Unionsfraktion plädierte in der Öffentlichen Anhörung des Innenausschusses für einen Rechtsanspruch auf digitale Verwaltungsleistungen, während der Deutsche Landkreistag diesen als „untauglich“ bezeichnete. Wie kommt es zu diesen unterschiedlichen Perspektiven?

Dieser Meinungsstreit dürfte insbesondere auf die verschiedenen Ansichten zur Tragweite des Artikels 91c Absatz 5 Grundgesetz zurückgehen. Teilweise wird vertreten, dass es dem Bund versagt sei, auch die Kommunen unmittelbar dazu zu verpflichten, ihre Verwaltungsleistungen elektronisch bereitzustellen. Dann könnte sich eben auch ein möglicher Rechtsanspruch nicht gegen die Kommunen richten. Zweck, Entstehungsgeschichte und Systematik des Artikels 91c Absatz 5 Grundgesetz sprechen aber dafür, dass der Bund den digitalen Zugang zur öffentlichen Verwaltung umfassend regeln kann. Es wäre daher durchaus möglich, einen ebenenübergreifenden Rechtsanspruch im OZG zu verankern. Dabei muss aber die Handlungsfähigkeit der Verwaltung sichergestellt bleiben. Daher sollte der Rechtsanspruch an die objektive Umsetzungspflicht des OZG gebunden sein, damit Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen von den zuständigen Rechtsträgern nur das verlangen können, wozu diese bereits gesetzlich verpflichtet sind. Man könnte den Rechtsanspruch inhaltlich auch an zeitlich gestaffelte Nachfristen für die OZG-Umsetzung knüpfen.

„Es bedarf weiterhin eines gewissen gesetzlichen Drucks, um bei der Verwaltungsmodernisierung nicht an Tempo zu verlieren.“

Was sind die Vorteile eines solchen Rechtsanspruchs?

Bislang müssen Bund und Länder trotz ihres Scheiterns bei der fristgerechten OZG-Umsetzung keine unmittelbaren Konsequenzen fürchten. Ein Rechtsanspruch auf digitale Verwaltungsleistungen oder ein Entschädigungsanspruch im Falle der ausgebliebenen Digitalisierung wäre daher ein sinnvolles Instrument zur Beschleunigung der Verwaltungsmodernisierung. Zudem würde er die – zumindest für die Privatwirtschaft – vorgesehene Nutzungspflicht digitaler Verwaltungsleistungen ergänzen.

Ein anderes Streitthema ist eine Fristsetzung. Warum kann man sich auf dieses beim Projekt-Management übliche Instrument nicht einigen?

In der Tat sieht das OZG-Änderungsgesetz im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage keine Nachfrist für die vollständige Umsetzung des OZG vor. Diese Entscheidung könnte sich als folgenschwerer Fehler erweisen und sollte unbedingt korrigiert werden. Zwar ist der Bundesregierung insoweit zuzustimmen, dass die digitale Verwaltungstransformation eine Daueraufgabe ist und bleibt. Aber selbst der gegenwärtige OZG-Umsetzungsstand wäre wohl bislang nicht erreicht worden, wenn sich Bund und Länder nicht auf eine fünfjährige Umsetzungsperiode bis Ende 2022 geeinigt hätten. Es bedarf daher weiterhin eines gewissen gesetzlichen Drucks, um bei der Verwaltungsmodernisierung nicht an Tempo zu verlieren. Dafür bieten sich auch nach Priorität gestaffelte Umsetzungsfristen für unterschiedliche Leistungsbündel an.

Es gibt Stimmen, wie das N3GZ-Nachwuchsnetzwerk (wir berichteten), die eine radikal neue Ausrichtung der Verwaltungsdigitalisierung fordern und eine stärkere Zentralisierung. Für wie aussichtsreich halten Sie diese Positionen?

Grundlegende Änderungen am gegenwärtigen Gesetzentwurf erwarte ich nicht. Eine stärkere Zentralisierung dürfte zudem schnell an verfassungsrechtliche Zulässigkeitsgrenzen stoßen. Das heißt aber nicht, dass in Zukunft gar keine Innovationen mehr möglich wären. Gerade die technische Realisierung des OZG verheißt zumindest gewisse Spielräume für die Akteure in Bund und Ländern. Zugleich wird es perspektivisch sicherlich weiteren gesetzlichen Reformbedarf geben. Die digitale Verwaltungstransformation ist ein langfristiger Prozess.

Wie sieht das weitere Procedere aus und wann wird über das Änderungsgesetz zum OZG beschlossen?

Bislang ist die Ausschussberatung des Gesetzentwurfs nicht abgeschlossen. Ob der Gesetzestext noch geändert wird, hängt davon ab, worauf sich die Koalitionsfraktionen einigen können. Während der Öffentlichen Anhörung im Innenausschuss wurde beispielsweise deutlich, dass über einen möglichen Rechtsanspruch unterschiedliche Meinungen in der Ampelkoalition existieren. Im Anschluss an die Ausschussberatung kommt der Entwurf in die zweite und dritte Lesung in das Bundestagsplenum und wird dann abgestimmt. Zusätzlich muss der Bundesrat dem OZG 2.0 zustimmen. Geplant ist meines Wissens, das Gesetzgebungsverfahren bis Ende des Jahres abzuschließen.

Interview: Helmut Merschmann

Im Interview, Dr. Jonas Botta
Dr. Jonas Botta ist Forschungsreferent am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung (FÖV) in Speyer. Er war Sachverständiger bei der Öffentlichen Anhörung zum OZG-Änderungsgesetz im Innenausschuss des Deutschen Bundestages.

Zum Gesetzentwurf (Deep Link)

Stichwörter: Politik, OZG 2.0

Bildquelle: Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung (FÖV) in Speyer

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