Interview:
Das Rathaus für die Hosentasche


[8.12.2020] Tangerhütte in Sachsen-Anhalt setzt seit Beginn der Corona-Pandemie auf das Digitale Rathaus. Im Fokus steht dabei die Nutzerfreundlichkeit. Kommune21 sprach mit Bürgermeister Andreas Brohm über Krisenbewältigung, positive Entwicklungen und das Digitalisieren gegen den Mainstream.

Andreas Brohm ist Bürgermeister der Stadt Tangerhütte. Herr Bürgermeister Brohm, wie gelingt es der Stadt Tangerhütte, die Corona-Krise zu bewältigen?

Es gibt drei Bereiche, um deren Weiterbetrieb wir uns als Kommune kümmern müssen: die Kindertagesstätten, den Bauhof und die Verwaltung. Wir müssen einerseits dafür sorgen, dass wir dort mit dem Einhalten der Schutzmaßnahmen und allem, was sich daran anschließt, auf der sicheren Seite sind. Als Arbeitgeber ist das eine recht pragmatische Aufgabe. Als Ordnungsbehörde müssen wir andererseits dafür sorgen, dass die Maßnahmen auch eingehalten werden. Dadurch fällt viel Vermittlungsarbeit an. Eine weitere Herausforderung ist die Kommunikation mit den Bürgern. Denn die müssen schnell die richtige Information erhalten – beispielsweise, dass die Kita gerade geschlossen ist. Deswegen gilt für uns, dass wir wichtige Sachverhalte, die mit den Einschränkungen durch die Pandemie zu tun haben, komprimiert und effizient weiterleiten.

Von vielen Seiten heißt es, dass die Corona-Krise einen Schub für die Digitalisierung in den Kommunalverwaltungen mit sich bringt. Was denken Sie dazu?

Digitalisierung umfasst mehr als Rechner und Software. Es geht um eine Strukturveränderung und die Befähigung von Mitarbeitern und Bürgern. Für Tangerhütte bedeutet das: Wir verändern Arbeitsprozesse. Durch die Corona-Pandemie können wir uns hier mehr trauen. Und das tun wir auch. Die E-Akte und elektronische Workflows beispielsweise – das gab es alles vorher schon. Die Krisensituation aber wirkt nun als Beschleuniger. Auch aufseiten der Bürger steigert die Corona-Pandemie die Akzeptanz digitaler Lösungen. Ist beispielsweise das Rathaus geschlossen, können die Bürger stattdessen unser Online-Portal, das Digitale Rathaus besuchen. Sie können dort Termine vereinbaren, Anfragen stellen und digitale Verwaltungsleistungen abrufen. Die Anträge sind nach OZG-Leistungen sortiert. Dazu haben wir eine App programmieren lassen, über die sich die Nutzer via Fingerabdruck bei ihrem Bürgerkonto anmelden können. Die umständliche Pin-Eingabe oder ähnliche Authentifizierungsprozesse entfallen. Es handelt sich sozusagen um das Rathaus für die Hosentasche. Wir haben, Stand heute, etwa 840 Kunden in unserem Serviceportal – ein vergleichsweise hoher Wert. Das zeigt uns, dass wir mit diesem Angebot einen Nerv getroffen haben. Es passt zur Lebenswelt der Bürger. Und das ist wichtig. Uns geht es nicht um das bloße Abarbeiten des OZG, sondern um Nutzerfreundlichkeit. Wir müssen Brücken schaffen, um die bisher existierende Hemmschwelle der Bürger gegenüber digitalen Verwaltungsleistungen abzubauen.

Welche Maßnahmen mussten Sie ergreifen, um gut durch die Krise zu kommen?

Im März habe ich zu meinen Mitarbeitern gesagt: Wir sind der Fels in der Brandung und die letzten, die das Licht ausmachen. Und so arbeiten wir auch. Zunächst einmal müssen wir als Kommune sicherstellen, dass die Verwaltung funktioniert. Es galt etwa zu verhindern, dass die ganze Verwaltung in Quarantäne muss, sobald sich einer der Mitarbeiter mit Corona infiziert hat. Wir arbeiten deshalb in Schichten und haben einen Teil der Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt. Dieser Wechsel bringt natürlich eine andere Arbeitskultur mit sich und muss mit den Mitarbeitern besprochen werden. Wir haben viele junge Mitarbeiter, aber auch ältere Beschäftigte, die sich mit dem Konzept Homeoffice vielleicht etwas schwerer tun. Da eine Lösung zu finden, die jeder akzeptiert, ist eine Herausforderung. Diese Diskussion haben wir aber schon vor der Krise geführt, indem wir uns beispielsweise in Workshops und dergleichen ausgetauscht haben. Damals war es keine Muss, nun aber ist es dringend notwendig, diese Veränderungen einzuführen.

„Über die App zum Digitalen Rathaus können Bürger sich via Fingerabdruck autorisieren und so Verwaltungsleistungen buchen.“

Welche positiven Entwicklungen sind in den vergangenen Monaten entstanden?

Erstmal ist jetzt die Akzeptanz da, um über Veränderungen nachzudenken. Die Idee zum Digitalen Rathaus gab es zum Beispiel schon im letzten Jahr. Damals hatten wir uns in Teams zusammengesetzt und überlegt: Was ist der spannendste Dienst, den wir anbieten können, damit der Bürger ihn auch nutzt? Und von welchen Services haben wir als Verwaltung den größten Nutzen? Das stieß zu der Zeit noch auf geteiltes Interesse unter den Mitarbeitern. Heute ist das anders. Jeder hat Ideen, wie man Prozesse noch digitaler machen kann. Die Mitarbeiter sind viel offener und begeistert dabei in der Ideenfindung. Durch die Krise hat sich die Grundstimmung gegenüber Neuem verändert. Das gilt auch für die App, die zu unserem Digitalen Rathaus gehört. Sich per Fingerabdruck autorisieren und Verwaltungsleistungen buchen – das geht einfach und bequem und die Bürger kennen das von ihren Online-Konten bei Amazon und Co. So kommt schon eine tolle Dynamik in den Prozess. Das Vorurteil einer eher rückschrittlichen Verwaltung trifft auf Tangerhütte jedenfalls nicht zu. Wir haben hier ein junges Team, das sich mit Herzblut einbringt und offen gegenüber Innovationen ist.

Wie kann das Positive ins neue Normal übertragen werden?

Wir müssen konsequent dran bleiben, weiter machen und die neuen Prozesse auch nach der Corona-Pandemie verstetigen. Denn sobald Innovationen und digitale Lösungen nicht mehr gezwungenermaßen einzusetzen sind, lässt der Zug nach. Wenn wir nicht aufpassen, ist der Effekt dann schnell verpufft und wir sitzen wieder da wie früher. Ein gutes Beispiel sind die Meetings hier im Kreis Stendal, einer Kommune, die so groß ist, wie das Saarland. Für die verschiedenen Gremiensitzungen fahren wir für gewöhnlich hin und her, obwohl man sich viel einfacher digital zusammenfinden könnte. Auch beim Bürger müssen wir dran bleiben. Das, was wir in Tangerhütte probieren, ist außerdem kein Mainstream. Wir überlegen uns selbst, welche Tools und digitalen Services uns nützen. Damit gehen wir über die Erfüllung der OZG-Leistungen hinaus, weil wir viele Synergieeffekte haben und nutzen können. Weiterhin fehlen in manchen Bereichen Lösungen, etwa wenn es darum geht, mit weniger Personal auskommen zu müssen. An fähige Arbeitskräfte kommen wir wiederum nur, wenn die Arbeitsplätze in der Verwaltung attraktiv und konkurrenzfähig sind. Da geht es zum Beispiel auch ums Homeoffice. Es muss eine spannende Aufgabe sein, in der Verwaltung zu arbeiten. Und dafür müssen wir uns fit machen.

Was brauchen Kommunen jetzt, um die Digitalisierung im Sinne der Bürger nachhaltig umsetzen zu können?

Die Kommunen brauchen vor allem finanzielle Unterstützung. Um Neuerungen zufriedenstellend umzusetzen, muss man nochmal über Geld reden. Es braucht in dieser Hinsicht eine andere Wertschätzung für die kommunale Verwaltungsebene.

Interview: Corinna Heinicke

Hintergrund, Kongress Innovatives Management
Das Kommune21-Interview mit Bürgermeister Andreas Brohm fand im Rahmen des diesjährigen Kongresses Innovatives Management statt. Die MACH-Veranstaltung legte den Fokus insbesondere auf die konstruktiven Lehren aus der Corona-Krise.

Zum Digitalen Rathaus der Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte (Deep Link)

Stichwörter: Panorama, Tangerhütte, Kongress Innovatives Management 2020

Bildquelle: Andreas Brohm

Druckversion    PDF     Link mailen


Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich Panorama
Kreis Neuburg-Schrobenhausen: KI für die Mitarbeiterschulung
[3.7.2024] Das Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen wurde von Bayerns Digitalminister Mehring als „Digitales Amt“ ausgezeichnet. Darüber hinaus pilotiert die Verwaltung eine Anwendung, die mittels KI-generierter Videos die Mitarbeiterschulung effizienter machen und Beschäftigte entlasten soll. mehr...
Serie GovTech Start-ups: Immer mehr Alternativen Bericht
[1.7.2024] Auf dem Markt für Public Sector Software steigt die Vielfalt: Vermehrt finden sich dort innovative Digitallösungen junger Start-ups. Auch Hersteller, deren Anwendungen bisher die Privatwirtschaft adressierten, entdecken die Verwaltung als interessanten Auftraggeber. mehr...
Die Auswahl an Software-Produkten wird größer.
forsa-Umfrage: Begrenztes Vertrauen in KI
[1.7.2024] Datengesteuertes Handeln in Politik und Verwaltung unter Rückgriff auf vielfältige Daten aus unterschiedlichsten Quellen – das ist eine der Möglichkeiten, die Künstliche Intelligenz eröffnet. Viele Deutsche fühlen sich bei dem Gedanken, dass der Staat mit KI Entscheidungen trifft, aber eher unwohl, wie eine aktuelle Umfrage zeigt. mehr...
Kommunikation: Digital im Austausch Bericht
[27.6.2024] Mehr Dialog mit den Bürgern gipfelt in höheren Teilnahmezahlen bei Informationsveranstaltungen, Kursen und Events – wenn die Kommunikation erfolgreich ist. Dafür stehen Kommunen verschiedene digitale Werkzeuge zur Verfügung. mehr...
Ansprache sollte individuell auf den Bürger zugeschnitten sein.
Köln: Drehanträge digital stellen
[25.6.2024] Ein einheitlicher, digitaler Drehantrag soll in Köln künftig die Grundlage für eine transparente und schnellere Vergabe von Drehgenehmigungen innerhalb der Stadtverwaltung bilden. Das Besondere: Der Antrag entstand in enger Abstimmung mit Filmschaffenden und der Verwaltung. mehr...
Das Einholen von Drehgenehmigungen wird in Köln digital – und damit einfacher für alle Beteiligten.
Weitere FirmennewsAnzeige

Besuchersteuerung: Das neue Einbürgerungsgesetz stellt Behörden vor zusätzliche Herausforderungen
[12.6.2024] Am 27. Juni 2024 tritt das neue deutsche Einbürgerungsgesetz in Kraft. Damit verkürzt sich die Mindestaufenthaltsdauer für eine Einbürgerung von derzeit acht auf fünf Jahre, bei besonderen Integrationsleistungen sogar auf bis zu drei Jahre. Demzufolge werden Ausländerbehörden künftig mehr Anträge auf Einbürgerung bearbeiten müssen. Allerdings stoßen bereits heute viele Ausländerbehörden an ihre Kapazitätsgrenzen. Magdalene Rottstegge, zuständig für das Business Development bei der SMART CJM GmbH, erläutert, wie Ämter das erhöhte Arbeitsaufkommen besser bewältigen können. mehr...

E-Rechnung: Für den Ansturm rüsten
[31.5.2024] Die E-Rechnungspflicht im B2B-Bereich kommt. Kommunen sollten jetzt ihre IT darauf ausrichten. Ein Sechs-Stufen-Plan, der als roter Faden Wege und technologische Lösungsmöglichkeiten aufzeigt, kann dabei helfen. mehr...
Suchen...

 Anzeige



Aboverwaltung


Abbonement kuendigen

Abbonement kuendigen
Ausgewählte Anbieter aus dem Bereich Panorama:
Telecomputer GmbH
10829 Berlin
Telecomputer GmbH
AIDA ORGA GmbH
75391 Gechingen
AIDA ORGA GmbH
JCC Software GmbH
48149 Münster
JCC Software GmbH
Aktuelle Meldungen