REPORT:
Offene Daten in Berlin?


[30.5.2011] Amtsverschwiegenheit war gestern. Mit Open Data geht ein Kultur- und Mentalitätswandel einher, der von den Verwaltungen ein neues Verständnis von Mitbestimmung und demokratischer Teilhabe verlangt. Auf dem Berlin Open Data Day (BODDy) wurden hierzu einige Best-Practice-Beispiele gezeigt.

Berlin veranstaltet Werkschau mit Open Data Best Practices. (Foto: PEAK) An der unwirtlichen und stark befahrenen Warschauer Straße in Berlin-Friedrichshain steht ein Aprikosenbaum und unweit davon einer mit Pflaumen. Täglich gehen Zehntausende auf dem Weg zur S-Bahn daran vorbei, vermutlich ohne davon Notiz zu nehmen. Gäbe es nicht Mundraub.org, eine Online-Plattform, auf der Standorte von Obstbäumen kartografiert werden, wüsste man gar nichts von den Früchten vor der eigenen Haustür. Bei Mundraub.org kann jeder mitmachen und Obstbaumstandorte in einer Karte markieren. Seit dem Start der Web-Plattform im September 2009 sind rund 3.000 Fundorte deutschlandweit eingetragen worden. Über die Website werden im Herbst auch Erntetouren organisiert und das Obst in eine Open-Source-Mosterei gebracht.
Auf den ersten Blick hat das Bürgerprojekt Mundraub.org weniger mit Open Data zu tun als mit dem kollaborativen Miteinander im Web 2.0. Es sind hier schließlich keine direkten Verwaltungsdaten im Spiel. Doch das Global Positioning System (GPS) „gehörte“ einst US-amerikanischen Militärbehörden und kann nun von jedermann auf dem Smartphone genutzt werden. Die Obstbaumaktion bringt zudem die Idee von Open Data ziemlich genau auf den Punkt: Durch die freie Nutzung öffentlicher Datenbestände und das freiwillige Engagement von Bürgern entsteht ein gesellschaftlicher Mehrwert. Zugleich wird subtiler Druck auf die Kommunen ausgeübt, wenn Bürger Interesse an ihrer unmittelbaren Umgebung zeigen.
Den Mehrwert hat auch Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf (Die Linke) im Blick, wenn er Open Data als Teil der Innovationsstrategie und des E-Government-Programms des Senats preist. „Politik und Verwaltung müssen transparenter, ihre Entscheidungen überprüft und Alternativen entwickelt werden“, sagte Wolf auf dem ersten Berlin Open Data Day (BODDy), der am 18. Mai 2011 in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen stattfand. Über 200 Teilnehmer, davon rund die Hälfte aus der öffentlichen Verwaltung, kamen zusammen, um von der strategischen Ausrichtung einer zukünftigen offenen Verwaltung zu erfahren. Der Wirtschaftssenator ließ durchblicken, dass er sich von der Freigabe öffentlicher Daten neues Wachstum und mehr Beschäftigung verspricht.

Open-Data-Agenda

Mit dem Ideenwettbewerb Apps4Berlin hatte sich die Bundeshauptstadt im September vergangenen Jahres an die Spitze der deutschen Open-Government-Bewegung begeben. Ausgezeichnet wurden neben vielen Smartphone-Applikationen auch Open-Data-Projekte wie Wheelmap.org, bei dem sich Rollstuhlfahrer über behindertengerechte Orte informieren und sie in eine Online-Karte eintragen können. Inzwischen reagieren auch die Berliner Behörden. So hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung das „Geoportal Berlin“ gestartet, das einen zentralen Zugang zu Karten und anderen raumbezogenen Daten, Diensten und Anwendungen im Land ermöglicht.
Freie und offene Daten sind das in diesem Fall allerdings nicht. Die Darstellung der Berliner Geodatenbank funktioniert mittels einer eigenen Software-Infrastruktur, dem javabasierten FIS-Broker, und ist nur auf der Website der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung möglich. Open-Data-Aktivisten fordern hingegen: „Keine Apps, Daten raus.“ Sie wollen Daten im Rohformat von den Behörden erhalten, um selbst Anwendungen programmieren zu können. Ihr Hauptargument: Offene Daten stärken das Vertrauensverhältnis zwischen Verwaltung, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft.
„Informationen sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Der offene und strukturierte Zugang zu freiverfügbaren Datenbeständen der öffentlichen Hand ist ein wichtiger Beitrag zur Weiterentwicklung der Wissensgesellschaft.“ So beginnt die Berliner Open-Data-Agenda, die auf dem Open Data Day vorgestellt wurde. Gefordert wird in dem Pamphlet die Bereitstellung von offenen Verwaltungsdaten für jeden. Offen meint hier maschinenlesbar und nicht im PDF-Format, international kompatibel und integrierbar sowie wohl definiert und dokumentiert. Das bedeutet, die Daten sollen in offenen Standards vorliegen und über ein zentrales, benutzerfreundliches Open-Data-Portal zugänglich sein.

Rechtliche Hürden

Ganz so weit ist man in Berlin noch nicht; ganz so schnell lässt sich der Wandel in den Verwaltungen nicht herbeiführen. Immerhin liegt in der Hauptstadt bereits ein Konzeptpapier für die Eingliederung von Open Data in die IT-Strategie des Landes vor. Ulrich Freise, IT-Staatssekretär beim Wirtschaftssenat, sieht neben wirtschaftlichen Aspekten vor allem im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements und der Bürgerbeteiligung positive Impulse durch Open Data: „Das Verwaltungshandeln wird transparenter, die politischen Entscheidungen nachvollziehbarer, wenn unsere Bürgerinnen und Bürger das Datenmaterial zur Verfügung haben, auf das wir die Entscheidungen unseres täglichen Handelns stützen.“ Mit Verweis auf das Landesprogramm ServiceStadt Berlin stellte Freise auf dem Open Data Day Guidelines für Berlins Behörden in Aussicht, in denen Vorschläge zur Entwicklung einer offenen Datenkultur gemacht werden sollen.
Vorerst allerdings müssen einige Hindernisse überwunden werden, die nicht nur kultureller Natur sind. Die auf Amtsverschwiegenheit eingeschworenen Verwaltungsangestellten unterliegen nicht zuletzt rechtlichen Vorschriften. Mit einem Referentenentwurf für ein E-Government- und Organisationsgesetz will Berlin in der nächsten Legislaturperiode eine Gesetzgebung vorbereiten, die über das „nur auf Anfrage“ reagierende Informationsfreiheitsgesetz hinausgeht. Ulrich Freise spricht von einem Paradigmenwechsel in den Amtsstuben, der gerade erst am Anfang stehe.

Der Blick nach drüben

Wesentlich weiter ist der angelsächsische Raum, wo Open Government Data seit 2009 zur offiziellen Regierungspolitik gehört. Das nordamerikanische Regierungsportal Data.gov gilt allgemein als Prestigeprojekt der Szene. Fast 400.000 Rohdaten der unterschiedlichsten Behörden sind dort frei verfügbar. Fast 980 Regierungsapplikationen wurden bislang entwickelt sowie mehr als 230 Apps von Bürgern. San Francisco hat unlängst eine iPhone-App mit 50 verschiedenen Open-Data-Anwendungen aus den Bereichen Umwelt, Mobilität, Nahverkehr und Kriminalität vorgestellt. Damit kann man sich beispielsweise alle der Polizei bekannt gewordenen Delikte der vergangenen Stunden auf einem Stadtplan anzeigen lassen. In Großbritannien können Bürger auf der Website Wheredoesmymoneygo.org die Haushaltsdaten abrufen und auf diese Weise nachvollziehen, wo und wofür die Kommunen Geld ausgeben.
Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Software-Unternehmens SAS vom Juni 2010 sprechen sich 88 Prozent der Befragten für Open Data aus. 81 Prozent erwarten eine stärkere Bürgerbeteiligung, 76 Prozent versprechen sich mehr Effizienz aufseiten der Behörden. Diese Zahlen verleiten auch europäische Verwaltungen zu mehr Aufgeschlossenheit und Transparenz. So hat die Stadt Wien in den vergangenen vier Monaten mehrere Datenkataloge aus den Bereichen Statistik, Geo-Informationen, Verkehr und Wirtschaft in den offenen Formaten CSV und WFS freigegeben, derer sich jeder bedienen kann. Damit lassen sich Smartphone-Apps entwickeln wie etwa eine Übersicht über alle öffentlichen Toiletten der österreichischen Hauptstadt.

Best Practice in Berlin

Auf dem Berlin Open Data Day fand eine Werkschau mit vielversprechenden lokalen Best-Practice-Beispielen von Behörden und Privatanwendern statt. Das Berliner Umweltamt bietet etwa Datenmaterial über elektromagnetische Felder, Bodenbelastung und Lärmschutz in einer eigenen Datenbank an. Das Amt für Statistik verfügt über Einzeldaten aus Eheschließungen, Geburten und dem Mikrozensus. Eine Weitergabe der Daten an die Verwaltung und die Öffentlichkeit ist allerdings nur möglich, sofern keine Rückschlüsse auf die Person oder eine einzelne Einrichtung gezogen werden können. Auf Berlin.offenerhaushalt.de können die Einzelpläne der Berliner Bezirke abgerufen werden. Der Kiezatlas veröffentlicht Daten zur Bevölkerungs- und Sozialstruktur. Wer einen Straßennahmen eingibt, erhält Aufstellungen über die Arbeitslosenquoten, das Wanderungsvolumen sowie den Migrationshintergrund der Bevölkerung.
Wie bereits erwähnt, handelt es sich hierbei aber nicht um offene Daten, sondern um proprietäre Informationen auf der Internet-Präsenz von Berlin.de. Open-Data-Aktivisten beklagen den geheimen Umgang mit öffentlichen Daten, deren Erhebung öffentliche Gelder erst ermöglicht haben. Ein Lied davon kann die Gruppe Berlin Moving Dots singen, die eine Smartphone-Applikation entwickeln möchte, mit der sich Verbindungen des Öffentlichen Personennahverkehrs in Echtzeit recherchieren lassen. Die Berliner Verkehrsbetriebe machen ihre Verbindungsdaten aber nur als PDF-Datei zugänglich. Moving Dots hat deshalb eine Unterschriftenaktion zur Freigabe der ÖPNV-Daten gestartet.
Dem steht nicht zuletzt das Urheberrechtsgesetz im Weg. Ab einer gewissen Schöpfungstiefe kann ein Copyright bestehen. Folglich müssten zunächst Änderungen im Urheberrechtsgesetz vorgenommen werden, bevor Behörden Open Data betreiben können. Kritiker berufen sich darauf, dass Fakten jedoch nicht durch das Urheberrecht geschützt werden können, weil dieses nur Personen als Schöpfer anerkennt. Als Fazit kann festgehalten werden: Wenn sich erst die Mentalität ändert – und vieles deutet darauf hin, dass diese Entwicklung schnell voranschreitet –, dürften sich manche bestehenden Hürden wie von selbst auflösen. Helmut Merschmann

http://www.mundraub.org
http://www.wheelmap.org
http://www.stadtentwicklung.berlin.de/geoinformation
http://berlin.opendataday.de/agenda
http://datasf.org/showcase
http://data.wien.gv.at
http://www.berlin.de/umwelt
http://berlin.offenerhaushalt.de/dataset/berlin
http://www.kiezatlas.de/sozialraumdaten

Stichwörter: Berlin Open Data Day (BODDy), Open Data, Open Government, Berlin, berlin.offenerhaushalt.de, Kiezatlas



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