Smart Country Convention 2019:
Von Litauen lernen


[27.11.2019] Als Partnerland und Vorbild für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung nahm Litauen an der diesjährigen Smart Country Convention in Berlin teil. Was Deutschland vom baltischen Kleinstaat lernen kann, berichtet Vizeminister Elijus Čivilis im Gespräch mit Kommune21.

Wer klein ist, muss smart sein. Das stellte Litauen als Partnerland der diesjährigen Smart Country Convention in Berlin (SCC, wir berichteten) unter Beweis. Nicht umsonst betitelte Florian Schröder, Vorstand der Deutsch-Baltischen Handelskammer, die baltischen Staaten auf der SCC als „digital giants“ – Estland, Lettland und Litauen rangieren beim Angebot digitaler öffentlicher Dienste unter den Spitzenreitern. Das ergab der aktuelle Bericht über die Nutzung elektronischer Behördendienste (wir berichteten).
Auch Litauen, der südlichste der drei baltischen Staaten, macht im Bereich der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung große Schritte. So können Bürger dort bereits über 90 Prozent ihrer Behördengänge online erledigen und innerhalb von drei Tagen ein Unternehmen gründen. Insgesamt werden etwa 600 Dienstleistungen online angeboten. Was das litauische Modell ausmacht, erklärt Elijus Čivilis, Vizeminister für Wirtschaft und Innovation der Republik Litauen, im Gespräch mit Kommune21.

Bürger im Mittelpunkt

„Stellt euch vor, ihr programmiert die Anwendung für eure eigene Großmutter“ – diesen Leitgedanken gibt Čivilis jungen Unternehmen und Start-ups mit auf den Weg, die an neuen Lösungen für die digitale Verwaltung feilen. Die Angebote sollen für alle zugänglich sein. Gerade um ältere Menschen zu erreichen, gibt es in Litauen beispielsweise das Programm Connected Lithuania, das Senioren im Umgang mit dem Internet und digitalen Angeboten schult.
Der Zerfall des Ostblocks erforderte vor 20 Jahren den Aufbau eines völlig neuen Verwaltungssystems in Litauen. Ausgehend von diesem Neubeginn konnte sich das Land zu einem der Vorreiter auf dem Gebiet der digitalisierten öffentlichen Dienste entwickeln. Nicht zuletzt stellt die umfassende Digitalisierung auch eine Reaktion auf die standardmäßigen Anforderungen der EU dar. Die zu Beginn der Umstrukturierung gefällten Entscheidungen traf die Regierung dabei zum großen Teil ohne Mitsprache der Bürger. „Das ist wie mit der Gesundheit. Wer krank ist oder ein gebrochenes Bein hat, entscheidet auch nicht selbst, wie es weitergeht. Dafür gibt es Experten“, meint Vizeminister Čivilis. Jetzt zeichne das litauische Modell jedoch vor allem aus, dass es den Bürger und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt der Online-Angebote stellt.
„Ich muss zugeben, dass ich deswegen den Begriff E-Government für überholt halte. Wir sind inzwischen beim Digital Government angekommen. E-Government bedeutet, dass man elektronische Komponenten benutzt, um Verwaltungsaufgaben zu erleichtern. Dabei geht man aber von der Verwaltung aus und achtet weniger auf die Nutzerfreundlichkeit für den Bürger“, erklärt Elijus Čivilis. Digital Governance dagegen bedeute, neue digitale Prozesse und Funktionen zu kreieren, die dem Bürger die Nutzung erleichtern.

Vertrauen in die Digitalisierung

Auch in Litauen gibt es Bürger, die sich um die Datensicherheit sorgen und mögliche Nachteile durch den Einsatz neuer Technologien, wie etwa künstlicher Intelligenz (KI), befürchten. „Die Menschen haben Angst vor Dingen, die sie nicht verstehen“, sagt Čivilis. Eine Antwort darauf stellt seit den Anfängen vor 20 Jahren eine umfassende digitale Bildung dar. Bildung schaffe Verständnis und damit mehr Zuspruch für digitale Angebote. Auch Regierungsbeamte werden aus diesem Grund zu digitalen Prozessen geschult. „Was sie nicht kennen, können sie auch nicht befürworten. Deswegen vermitteln wir unseren Regierungsbeamten grundlegende Kenntnisse über digitale Technologien und bringen ihnen so den alltäglichen Umgang damit näher“, erklärt Čivilis.
Insbesondere spricht sich der Vizeminister gegen den Hype um die künstliche Intelligenz und Blockchain-Technologie aus. „Ein Hype trägt nur zur Mystifizierung von Technik bei“, argumentiert er. „Ich sage immer, wir sollten die technischen Diskussionen den Experten überlassen.“ Für Čivilis sind KI und Blockchain letztendlich nichts weiter als neue Technologien, die im Dienste der Bürger Litauens nutzbar gemacht werden. Genau wie sich die Wirtschaft seit Jahren digitale Innovationen zum Vorteil mache, um Arbeitsprozesse zu beschleunigen und zu vereinfachen, sollten auch Bürger und die öffentliche Verwaltung davon profitieren dürfen.

Neue Sicherheit

Dennoch gehören neue Sicherheitsrisiken zu den Schattenseiten der umfassenden Digitalisierung. Als Leitfaden zur Weitergabe von vertraulichen Informationen über digitale Dienste verweist Vizeminister Čivilis auf die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) für Bürger und Verwaltung: „Die DSGVO beschreibt nachvollziehbar die Verantwortung des Einzelnen sicher mit eigenen und fremden Daten umzugehen. Wir mögen das, weil es Klarheit schafft. Niemand muss befürchten, etwas falsch zu machen. Statt uns also Sorgen zu machen, können wir die DSGVO lesen und dann an die Arbeit gehen.“
Auch Cyber-Attacken liefern Grund zur Sorge. Russische Hacker verübten bereits einige Angriffe, die gegen die litauischen Behörden gerichtet waren. So wurden etwa falsche Informationen in ein Nachrichtenportal eingespeist oder Virus-infizierte E-Mails an Staatsbehörden verschickt. Deshalb obliegt die Sicherheit der Rechenzentren, in denen die Daten verarbeitet werden, dem litauischen Verteidigungsminister. Speziell für die Bedrohung durch Hacking gibt es außerdem das Cybercrime Center of Excellence (L3CE). Auch diese Institution untersteht dem Verteidigungsminister. „Das L3CE-Team trainiert jeden Tag“, berichtet Čivilis. „Im Ernstfall zählen wir auf sie.“

Weniger Ressourcen, mehr Erfolg

Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung in Deutschland ist noch weit vom litauischen Beispiel entfernt. Dabei wünscht sich die Mehrheit der deutschen Bürger mehr digitale Angebote in der öffentlichen Verwaltung, wie es beispielsweise eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom zeigt (wir berichteten). Eine Frage, die sich dabei natürlich stellt, ist die nach der Übertragbarkeit des litauischen Modells auf Deutschland. Denn nicht nur in der Größe unterscheidet sich Deutschland mit knapp über 83 Millionen Einwohnern vom baltischen EU-Partner mit knapp drei Millionen Einwohnern. Auch die Aufteilung in Kommunen setzt völlig andere Strukturen in der öffentlichen Verwaltung voraus als in Litauen.
Hinzu kommt die Bereitschaft der litauischen Regierung, sich auch mal unbeliebt zu machen. „Ich bin nicht der Netteste, wenn es darum geht, meinen Job zu machen. Auch wenn ich hier auf der Bühne mit den bunten Lichtern vielleicht ganz nett wirke“, betont Čivilis. Alle Anfragen für die Finanzierung von IT werden streng vom Ministerium für Wirtschaft und Innovation geprüft. Was nicht unmittelbar zur Wertschaffung für IT beiträgt, wird abgelehnt. Von 90 Millionen Euro, die zum kommenden Jahr zusätzlich zum veranschlagten IT-Budget für ganz Litauen beantragt wurden, seien Ausgaben in Höhe von 60 Millionen abgelehnt worden.
Der Vizeminister erklärt dafür die Not zur Tugend: „Den Luxus, unsere öffentliche Verwaltung nach traditionellen Vorbildern aufzubauen, haben wir in Litauen nicht. Bei der Digitalisierung geht es schließlich nicht nur um den Spaß am Fortschritt. Sie erlaubt uns auch, unsere Verwaltungsprozesse zu beschleunigen und zu vereinfachen. So können wir unsere Bürger besser erreichen, als es sonst möglich wäre. In Deutschland leistet ihr euch große Büros und viele Mitarbeiter. Ehrlich gesagt glaube ich, ihr habt zu viel Geld dafür.“

Corinna Heinicke


Stichwörter: Politik, International, Litauen, Smart Country Convention 2019



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