OZG-Umsetzung:
Anspruch und Wirklichkeit


[11.1.2021] Mit der OZG-Umsetzung wollen Bund und Länder den digitalen Entwicklungsrückstand im Bereich der öffentlichen Verwaltung aufholen. Ob das gelingt, entscheidet sich auf kommunaler Ebene sowie an den Schnittstellen zwischen Wirtschaft und Verwaltung.

Für die angestrebte Umsetzung des OZG bleibt noch viel zu tun. Mit der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) sollen sich bekanntlich ab dem Jahr 2023 praktisch alle Verwaltungsleistungen in Deutschland digital abwickeln lassen. Das Projekt ist gut gestartet, hat bereits einige vielversprechende Ergebnisse vorzuweisen und wurde im Rahmen des Konjunkturpakets mit zusätzlichen Finanzmitteln in Höhe von drei Milliarden Euro ausgestattet. Doch diese aktuell guten Rahmenbedingungen sind trügerisch. Erst die kommenden Wochen werden darüber entscheiden, ob das anspruchsvolle Vorhaben wirklich ein Erfolg wird.
Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) und der IT-Planungsrat haben in den ersten drei Jahren der OZG-Umsetzung viel richtig gemacht: klarer Fokus auf die Nutzer, Bündelung von Leistungen in Themenfeldern, Einführung agiler Arbeitsformen und Methoden. Im Ergebnis hat die ressort-, ebenen-, und verwaltungsübergreifende Zusammenarbeit durch diese Aktivitäten schon jetzt eine neue Qualität bekommen. Davon konnten auch die Kommunen direkt oder indirekt profitieren. Vielerorts bewirkten das OZG und die damit in Verbindung stehenden Aktivitäten zur Einrichtung von Digitalisierungslaboren eine echte Aufbruchsstimmung.

Aktive OZG-Szene überschaubar

Doch hochgerechnet auf ganz Deutschland ist die aktive OZG-Szene nach wie vor überschaubar. Insbesondere für viele kleinere Kommunen klingen Begriffe wie FIM, FINK, FITKO, FIT-Store, FIT-Connect, SDG, OnceOnly, eIDAS oder EfA-Prinzip wie eine verwaltungsinterne Geheimwissenschaft – auch, weil der Informationsfluss in die kommunale Ebene nach wie vor nicht optimal funktioniert. Was jedoch in diesem Fall weniger am BMI oder dem IT-Planungsrat liegt. Die Bundesländer und die kommunalen Spitzenverbände auf Landesebene sind es, die jetzt stark gefordert sind, den Prozess der OZG-Umsetzung überall in die Fläche zu bringen.
Was in den kommenden zwei Jahren im OZG-Prozess ansteht, ist eine Herkulesaufgabe. Gut 600 Verwaltungsleistungen (hinter denen sich rund 6.000 Einzelleistungen verbergen) gilt es, flächendeckend in Deutschland umzusetzen – also in fast 11.000 Kommunen. Und selbstverständlich kann es dabei nicht nur um die Weiterleitung von Formulardaten oder PDF-Dokumenten gehen. Doch gerade bezüglich der vollständig digitalen Abwicklung von Verwaltungsverfahren (einschließlich der Anbindung bestehender Fachverfahren) gibt es auf kommunaler Ebene aktuell leider sehr viel mehr Fragen als Antworten.

Verschiedene EfA-Strategien

Das BMI und der IT-Planungsrat haben für die bundesweite Nutzung von OZG-Lösungen das Einer-für-Alle-Prinzip (EfA) entwickelt. Vereinfacht gesagt, sollen alle bundesweit nutzbaren Lösungen im Idealfall auf einer technischen Plattform zur Verfügung gestellt werden – ganz im Sinne eines App Stores für E-Governnment-Anwendungen. Ohne Frage ist dies ein sehr innovatives und zukunftsweisendes Konzept – doch leider ist aktuell noch nicht klar, wie das Ganze in den verbleibenden zwei Jahren konkret umgesetzt werden soll. Denn einige Bundesländer verfolgen eigene EfA-Strategien mit einem gänzlich anderen Ansatz. Dabei geht es oft nicht um echte Plattform-Lösungen, sondern eher um einfache modulare Baukästen für Online-Prozesse.
Also Infrastrukturen für das Neu- oder Nachbauen statt für das Mit- und Nachnutzen von OZG-Lösungen anderer Bundesländer. Damit dürfte – unabhängig von den klar negativen volkswirtschaftlichen Effekten – allein mit Blick auf das oben skizzierte Mengengerüst eine landesweite OZG-Umsetzung kaum zu schaffen sein. Zumal solche landesweiten Portallösungen für Kommunen mit bereits bestehenden interaktiven Serviceportalen und intelligenten Antragsassistenten inklusive angebundener Fachverfahren sogar ein klarer Rückschritt wären. Daher sind viele Kommunen aktuell sehr verunsichert. Die kommunalen Spitzenverbände auf Landesebene wiederum sind nicht selten auf Kuschelkurs mit ihren Innenministerien und/oder abhängig von kommunalen Rechenzentren, denen erfahrungsgemäß jedoch auch nicht immer eine strategische oder technologische Führungsrolle im Veränderungsprozess der öffentlichen Verwaltung zukommt.

Nachjustierung notwendig

Um bis Ende 2022 möglichst optimale Ergebnisse zu erzielen, sollte beim OZG-Prozess Anfang 2021 an einigen Stellen unbedingt nachjustiert werden:
• Einer-für-Alle-Anwendungen im OZG-Prozess müssen als echte Plattform-Lösungen konzipiert und umgesetzt werden, die dezentrale IT-Verfahren weitgehend ersetzen und von allen Kommunen deutschlandweit genutzt werden können.
• Ergänzend zum einheitlichen Servicekonto für Unternehmen ist eine industriepolitische Neubewertung der OZG-Umsetzung nötig. Dabei sollte zugleich der Roll-out sicherer digitaler Identitäten sowie der Aufbau kooperativer und digital-souveräner Daten-Infrastrukturen mitgedacht werden.
• Jedes Bundesland sollte sich im Wettbewerb um die besten Lösungen am Aufbau einer föderalen plattformbasierten IT-Architektur für Deutschland und Europa beteiligen. Landesweite IT-Infrastrukturen sollten sich auf leistungsfähige und sichere Netze, Serviceportale und technische Basisdienste konzentrieren.
• Die länderübergreifende Zusammenarbeit von Kommunen sollte intensiviert werden – auch und gerade in Bezug auf die Entwicklung, Erprobung und gemeinsame Nutzung innovativer Lösungen für digitale Städte und Regionen. Es spricht viel dafür, dass urbane Daten- und Plattformarchitekturen wichtige Blaupausen und Lernkurven für die Verwaltungsinformatik der Zukunft sind.
• Darüber hinaus sind eine intelligente Konsolidierung sowie technische Verbünde im Bereich der kommunalen Rechenzentren nötig – und zwar auf nationaler oder sogar europäischer Ebene.

Operative Unterstützung für Kommunen

Die Kompetenzen der Anbieter von E-Government-Lösungen müssten strategisch und operativ noch besser in den OZG-Prozess eingebunden werden. Dabei geht es sowohl um pragmatische Übergangslösungen (Formular-Server und Fachanwendungen) als auch um die Transformationsunterstützung dieser Branche in Richtung Plattformarchitekturen und Apps sowie Künstliche Intelligenz. Es sollten regionale Kompetenzverbünde und Digitalagenturen für die operative Unterstützung von Kommunen im Prozess der OZG-Umsetzung aufgebaut werden. Länderübergreifenden Metropolregionen kann dabei eine besondere Transformationswirkung zukommen.
Das OZG bildet bestenfalls den Einstieg in die vernetzte Verwaltung von Morgen. Daher braucht die öffentliche Verwaltung Digitalisierungsstrategien, die deutlich über 2022 hinausreichen. Zudem gilt es, schon heute massiv in Schulung und Weiterbildung zu investieren. In Deutschland wären nicht nur neue Lehrstühle für Künstliche Intelligenz nötig, sondern auch vergleichbare Initiativen im Bereich Staats- und Verwaltungswissenschaften sowie im Bereich der Verwaltungsinformatik. Denn trotz aller aktuellen Probleme ist die OZG-Umsetzung einer der wichtigsten Bausteine für die vernetzte Verwaltung von Morgen.


Marco Brunzel ist Bereichsleiter für Digitalisierung und E-Government in der Metropolregion Rhein-Neckar sowie Fellow am Stein-Hardenberg-Institut in Berlin.

https://www.m-r-n.com
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Januar 2021 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: Politik, Onlinezugangsgesetzes (OZG), EfA-Strategie

Bildquelle: nikilitov/stock.adobe.com

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