[18.6.2015] Kein Patentrezept für modernen Unterricht: Professor Michael Henninger, Direktor des Zentrums für Lernen mit Digitalen Medien an der Pädagogischen Hochschule Weingarten, plädiert dafür, den Unterricht so anzupassen, dass er möglichst vielen gerecht wird.
Herr Professor Henninger, Schulen ans Netz hieß vor bald 20 Jahren eine Initiative, die dafür sorgen sollte, dass Schulen Internet-Zugänge erhalten. Welche Initiativen zur Förderung digitalen Lernens gibt es heute?
Das Land Baden-Württemberg hat mit der Qualitätsoffensive Bildung, die bis 2008 lief, relativ viel Geld in die Hand genommen, auch um Informationstechnologien in die Schulen zu bringen. Im aktuellen Bund-Länder-Programm Qualitätsoffensive Lehrerbildung spielen digitale Medien allerdings keine herausragende Rolle.
Warum ist das so?
In jüngster Zeit wurde die Nutzung digitaler Medien durch Kinder und Jugendliche in ein negatives Licht gerückt. Dies führte dazu, dass deren Einsatz nicht mehr explizit gefördert wird. Es ging sogar so weit, dass das Fach Informatik in Baden-Württemberg aus dem Lehrplan gestrichen wurde und man heute die Medienkompetenz in der impliziten Vermittlung den Fachdidaktiken überlässt.
Ein Buch, in dem die Digitalisierung an deutschen Schulen kritisiert wird, heißt „Die Lüge der digitalen Bildung. Warum unsere Kinder das Lernen verlernen“. Dort heißt es, bis zum Alter von zwölf Jahren sollte man Schülern überhaupt keine Geräte in die Hand geben. Wie ist Ihre Meinung?
Ich verstehe die ganze Aussage nicht. Mir fehlen dafür ehrlich gesagt die empirischen Evidenzen. Da möchte ich die Belege haben, die tatsächlich eindeutig nachweisen, dass digitale Medien den Kindern schaden. Und die wird man nicht finden, selbst wenn: Wie wollen Sie denn verhindern, dass Kinder an digitale Geräte kommen? Immerhin wurde auf Ebene der EU inzwischen erkannt, dass wir uns an der Herausforderung nicht mehr vorbeimogeln können und die nächste Generation dringend auf die fortschreitende Digitalisierung vorbereitet werden muss.
Geht es dabei eher in Richtung Vermittlung von Medienkompetenz für Schüler oder auch um den Unterricht mit digitalen Medien, oder lässt sich das gar nicht trennen?
Es lässt sich nicht ganz trennen, aber man sollte es meiner Meinung nach getrennt debattieren. Medienkompetenz für Schüler ist ja ein spezielles Gebiet für sich, wo sich auch die Gelehrten streiten, was darunter zu verstehen ist. Auf der anderen Seite ist es so, dass digitale Medien eine neue Unterrichtsqualität ermöglichen.
„Wie wollen Sie denn verhindern, dass Kinder an digitale Geräte kommen?“
Wie werden sie heute im Schulalltag eingesetzt?
Der aktuelle Trend ist, dass man versucht, mit der Tablet-Technologie die digitalen Medien viel einfacher in den Unterricht zu integrieren. Der Trend geht weg von klassischen Netzen, hin in Richtung der mobilen Endgeräte. Man holt die Kinder und Jugendlichen dort ab, wo sie auch privat stehen. Die hocken ja nicht mehr vor Papis Computer, sondern an ihren Handys und Tablets.
Wie beurteilen Sie den Einsatz mobiler Geräte im Unterricht?
Segen und Fluch! Der Segen liegt darin, dass Tablets so gut wie immer funktionieren. Das kann man vom üblichen Schul-PC nicht behaupten. Zudem ist keine aufwendige Infrastruktur mit Computerraum, Notebook-Wagen und Netzwerk erforderlich. Der Fluch ist die eher spielorientierte Missnutzung im instruktionalen Kontext.
Wie sieht es bei den Unterrichtsinhalten aus?
In den vergangenen Jahren hat sich hier viel getan. Die Angebote sind zum Teil sehr kindgerecht, selbst in der Grundschule. In die Entwicklung der Programme sind Erkenntnisse der Lernpsychologie eingeflossen, wie sie gestaltet und in die Didaktik eingepasst werden können. Bei den Programmen gibt es natürlich Qualitätsunterschiede, wie beim Lehr- und Schulbuch auch.
In Baden-Württemberg gibt es eine vom Land entwickelte Netzwerk-Management-Lösung für Schulen. Wie beurteilen Sie deren Einsatz?
Da ist die Antwort nicht ganz einfach. Es kommt immer drauf an, was man machen möchte. Wenn ein Lehrer die Kontrolle über den IT-gestützten Unterricht behalten will, dann ist das nach wie vor die Methode der Wahl. Die parallele Nutzung klassischer PCs und der deutlich flexibleren Tablets macht durchaus Sinn. Ich glaube allerdings, dass Netzwerk-Lösungen dem natürlichen Zugang der Schüler und zunehmend auch der Lehrer immer weniger entsprechen.
Wie kann ein attraktiver Unterricht gestaltet werden?
Ein einheitliches didaktisches Konzept gibt es nicht. Es gibt allerdings sehr viele Möglichkeiten, wie man Unterricht zu bestimmten Zielen gestalten kann und welche Rolle darin die digitalen Medien spielen. Es gilt dabei, drei Variablen zu betrachten: die Lehrkräfte mit ihren Kompetenzen und Neigungen, die Schüler selbst und deren familiäre Bildungshintergründe sowie den zu vermittelnden Stoff. Der Unterricht sollte so angepasst werden, dass er möglichst vielen gerecht wird. Denn Didaktikkonzepte können nicht gegen die Lehrer durchgesetzt werden und der Unterricht muss die Fähigkeiten der Schüler berücksichtigen.
Wie sieht aus Ihrer Sicht eine zeitgemäße Schule aus?
Ich möchte das am Beispiel der Alemannenschule Wutöschingen illustrieren. Dort wurde die Schule nicht nur medienaffiner gestaltet, sondern komplett neu durchdacht. Die Klassenräume wurden durch Lernateliers, Input-Räume und kooperative Lernbereiche ersetzt. Die Unterrichtszeiten nehmen auf die Bedürfnisse der Schüler Rücksicht, aus Lehrern wurden Lernbegleiter und aus Schülern Lernpartner. Die Frage lautet also nicht, welche Technologien werden eingesetzt, sondern, wie wird die Schule attraktiver für die Schüler, aber auch für die Lehrer. In Wutöschingen jedenfalls wurde der Rückgang der Schülerzahlen gestoppt. Heute überlegen sich Familien, in die Gemeinde zu ziehen, damit ihre Kinder an diese Schule kommen.
Interview: Alexander Schaeff, Anne Coronel-Lange
http://www.ph-weingarten.deDieser Beitrag ist in der Juni-Ausgabe von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)
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Bildquelle: Pädagogische Hochschule Weingarten